Am Aschermittwoch ist bekanntlich alles vorbei – die Fastenzeit beginnt.
Nicht wenige denken darüber nach, ob sie nicht auch mal “digital fasten” sollten. “Digital Detoxing” nennt sich das: Digitales Entgiften. Und meint: Weniger Smartphone, Facebook, WhatsApp, Instagram, Web und E-Mail. Im Idealfall natürlich nichts davon. Das könnte den ganzen Organismus mal so richtig schön “entgiften”. Angesichts des heute üblichen Medienkonsums – der Durchschnittsmensch greift alle 12 Minuten zum Handy und verbringt etliche Stunden am Tag damit – wohl keine schlechte Idee.
Detoxing: Gibt’s denn eine App dafür?
Wer nun fragt: “Gibt’s denn eine App dafür?” – und das wurde ich ernsthaft schon gefragt! -, macht deutlich, wie tief das Problem sitzt. Offenbar können sich viele von uns nicht mal mehr ansatzweise vorstellen, wie sich Dinge ohne Handy, App oder Internet lösen lassen. Selbst bei solchen Herausforderungen, die wir ohne Digitalisierung gar nicht hätten.
Die Frage zeigt schon, wie verdreht wir heute sind. Mit einer App die App-Sucht bekämpfen wollen … Es braucht aber nicht unbedingt eine App. Jeder von uns kann bequem überprüfen, wie oft er oder sie sein Smartphone nutzt – und wie viel Zeit dabei drauf geht. „Bildschirmzeit“ heißt die Funktion auf dem iPhone, „Digital Wellbeing“ unter Android.
Wer sie aktiviert, bekommt übersichtliche Statistiken: Wie lange online gewesen in der letzten Woche, wie viel pro Tag. Und mit welchen Apps wurde wie viel Zeit verbracht? Das alles sind aufschlussreiche Informationen. Auf Wunsch kommt einmal der Woche sogar ein kompletter Bericht. Die meisten sind erstaunt, was da zusammenkommt. Die Funktion muss aber konkret eingeschaltet und aktiviert werden, damit sie funktioniert und Daten sammelt.
Medienpsychologin Maren Urner über Suchtverhalten und Vorgänge im Gehirn
Nur die wenigsten machen mit
Laut einer aktuelle Bitkom-Studie sind aber nur zehn Prozent der Deutschen bereit, sich auf Digital Detoxing einzulassen. 35 Prozent können es sich überhaupt nicht vorstellen. 25 Prozent haben es versucht, aber nicht durchgehalten. Also: Besonders hoch ist der Anteil der Handy-Besitzer, die bewusst mal eine Pause machen, nicht gerade.
Ich denke sowieso: Wer das ganze Jahr über deutlich zu viel isst oder trinkt und nach Aschermittwoch mal eine Pause einlegt, hat dadurch noch keinen gesunden Lebensstil. Die eine Übertreibung durch eine andere Übertreibung ausgleichen – das funktioniert natürlich nicht. Kompletter Verzicht geht für viele gar nicht, allein aus beruflichen Gründen.
Viel wichtiger wäre es, sich generell zu zügeln. Mehr darauf zu achten: Muss ich jetzt wirklich daddeln? Muss ich jedes Foto ansehen? Jede Nachricht sofort beantworten? Aber das ganze Jahr über – nicht nur in der Fastenzeit verzichten und danach wieder ungehemmt weiter.
Ein Kommentar
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Der Artikel ist Wasser auf meine Mühlen und Herr Schieb einer der wenigen Digitalistan-Autor*innen, der die immensen Gefahren der Versmartphonisierung aller Lebensbereiche nicht nur erkannt hat, sondern couragiert gegen sie anschreibt, unter anderem gegen die um sich greifende Smartphone-Sucht-Pandemie – Berufenere als ich haben das neue Suchtmittel schon “Digital Crack” genannt – leider zu Recht.
Allerdings wird das Problem und sein Ausmaß auch und gerade von der interviewten Medienpsychologin Maren Urner leider verharmlost.
Die von ihr propagierte “Lösung”, das Suchtphone beim Nachhauskommen in eine bestimmte Tasche zu stecken oder während sozialer Kontakte weggesteckt zu lassen, ist ungefähr so hilfreich wie gegen Heroin-, Crack- oder Crystal-Meth-Sucht das temporäre Verstecken des Suchtmittels zu empfehlen…
Schade, damit vertut der Artikel die Chance, Menschen wirklich zu helfen auszusteigen.
Immerhin wurde ja wenigstens die Existenz von Kliniken erwähnt.
Es gibt auch “Medienambulanzen” wie die von Dr. Bert te Wildt (“Digital Junkies”) an der Uniklinik Bochum und mindestens eine Website mit weiteren Hilfeangeboten:
http : // www . aktiv – gegen – mediensucht . de
Zu bedenken ist auch, daß die Sucht auch zur Demokratiegefährdung durch z.B. social bots ebenso beiträgt wie durch Dauerüberwachung und -manipulation der Süchtigen durch deren Daueraufenthalte im Netz.
Warum trotzdem der WDR immer noch bei Facebook und den anderen asozialen Netzwerken ist und uns als Publikum auch noch dauern auffordert, ihm dahin zu folgen – das bleibt ein Rätsel….