Instagram: Darf’s noch ein bisschen unechter sein?

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Instagram: Darf’s noch ein bisschen unechter sein?

Kommentare zum Artikel: 14

Wer durch Instagram scrollt, bekommt einen Eindruck davon, was mit “Eye Candy” gemeint ist: Alles sieht wundervoll aus. Die Menschen. Die Freunde. Das Essen. Der Strand. Der Urlaub. Das Auto.

Selbst Müll auf der Straße wirkt irgendwie ästhetisch, ist schließlich ein Foto auf Instagram. Und was nicht wirklich schön und lecker aussieht, das wird mit einem Filter auf Hochglanz poliert. Die Realität muss draußen bleiben.

Die Marke Kentucky Fried Chicken (KFC) hat ihren Gründer wieder"belebt"; Rechte. WDR/Schieb

Die Marke Kentucky Fried Chicken (KFC) hat ihren Gründer wieder”belebt”

Ein Kitsch-Netzwerk zum Mitmachen

Vor allem sogenannte Influencer – bei Instagram vor allem Influencerinnen – beherrschen die Spielregeln dieses vor allem auf Nabelschau fokussierten Bilder-Netzwerks. Die gut verdienenden Instagram-Stars setzen sich perfekt in Szene, gehören von ihrem optischen Erscheinungsbild selten in die Kategorie “Problemfälle” – und das reicht dann meistens auch schon, um viele, viele andere Leute anzulocken. Die Message ist klar: So willst Du doch eigentlich auch sein/aussehen/leben – oder etwas nicht?

Instagram ist ein Kitsch-Netzwerk, das mit dem echten Leben so viel zu tun hat wie ein Hollywood-Blockbuster. Aber hier kann jede/r mitmachen.

Doch es setzt sich ein Trend durch, die – zumindest auf Instagram – irgendwie nur folgerichtig und logisch erscheint: Virtuelle Influencerinnen. Figuren, die es gar nicht gibt. Sie entstammen KI-Systemen, sehen aber so realistisch aus, dass man schon zwei Mal hinschauen muss, um den Bluff zu erkennen.

Virtuelle Influencerin Miquela: Schon zwei Millionen Follower auf Instagram

Miquela kommt aus der Retorte

Miquela ist ein Beispiel dafür. Das Gesicht so geformt und gestaltet, dass es in USA, Europa und vor allem in Asien gleichermaßen ansprechend aussieht. Doch das niedliche Gesicht mit den Sommersprossen ist kompletter Fake. Es gibt Miquale nicht.

Trotzdem hat “sie” schon 2,4 Millionen Follower auf Instagram. Und produziert auch Musik, etwa “Automatic”. Auch die klingt natürlich total synthetisch – aber würde in der Rotation eines Pop-Senders nicht weiter unangenehm auffallen.

Weg mit der Realität

Die Kunstwelt endgültig künstlich machen – was für ein Schachzug! Weg mit dem letzten Rest von Realität. Wer will denn sowas?

Leider ist Miquela kein Einzelfall. Es gibt viele andere Beispiele. So hat etwa der Fastfood-Produzent “Kentucky Fried Chicken” vor einiger Zeit seinen Gründer Colonel Sanders, der bereits seit 40 Jahren tot ist, in Form einer virtuellen Figur auferstehen lassen. Natürlich schlanker, smarter und besser aussehend als jemals in der Realität. Schließlich sind wir auf Instagram!

Soll das die Zukunft sein?

Virtuelle 3D-Models, die im Computer entstehen, die Klamotten anziehen, Edel-Champagner schlürfen, sich an Stränden wälzen oder sonst was machen; ohne Reisespesen und Fotografen – und trotzdem lukrativ.

Da die Marken sich drum kloppen, diese “CyberModels” zu umgarnen und mit Gold zu überschütten wie bei Frau Holle. Das ist das 21. Jahrhundert!

Ich weiß nicht, wie es Euch geht. Aber mir wird übel dabei. Nun wird auch noch das letzte bisschen Realität ausgeknipst.

Über den Autor

Jörg Schieb ist Internetexperte und Netzkenner der ARD. Im WDR arbeitet er trimedial: für WDR Fernsehen, WDR Hörfunk und WDR.de. In seiner Sendung "Angeklickt" in der Aktuellen Stunde berichtet er seit 20 Jahren jede Woche über Netzthemen – immer mit Leidenschaft und leicht verständlich.

14 Kommentare

  1. Wirklich traurig. Gerade für junge Menschen so gefährlich. Aber ich beobachte aktuell eine Gegenbewegung auf den sozialen Medien. Gerade von der Gen Z. Find ich gut :)

  2. Max Kopfraum am

    Ganz ehrlich, ich finde diesen letzten, ultimativen Schritt zur totalen Kunstfigur begrüßenswert. Es ist, eigentlich erstmalig in der Geschichte der Influenz, ein ehrlicher Schritt, der die gesamte Sache genauso darstellt, wie sie wirklich ist. Es dürfte einem Kind gegenüber auch erheblich einfacher vermittelbar sein, dass die Industrie Kunstfiguren zu Werbezwecken erschafft, als dass die liebgewonnene “echte” Freundin hinter dem Display eigentlich rein monetäre Ziele verfolgt.

  3. An sich ist zeigt der Beitrag natürlich eine Seite von Instagram. Leider werden die vielen Influencer (mit zum Teil auch vielen Followern) mit sehr realistischen und kritischen Beiträgen nicht einmal erwähnt. Das finde ich sehr schade. Es ist doch wie überall man muss sich eben für die richtigen Inhalte entscheiden und auch mit seinen Kindern besprechen, dass Instagram ein Scheinwelt ist. So wie ein Film im Kino auch nicht der Realität entspricht.

  4. Was ist Realität? Wieviel Realität verträgt der Mensch? Wieviel Virtualität könnte dem einzelnen Menschen temporär oder permanent zuträglich sein? Wieviel Virtualität der Gesellschaft? Macht es einen Unterschied in der Werbung, im Film ob dort echte oder virtuelle Schauspieler agieren? Es findet sich sicherlich auch eine Überschneidung mit anderen Themenbereichen, so z.B. der Religion, wo sich reales und nicht reales, beweisbares und nicht beweisbares bis zur Unkenntlichkeit vermischen. Oder Demenz, wenn sich reales Jetzt mit einer schon längst kognitiv veränderten Vergangenheit überlagert wird.
    Über das Thema lässt sich sicherlich trefflich nachdenken und philosophieren.
    Nur zu sagen “diese Entwicklung ist abzulehnen” so einfach sollte man es sich nicht machen. Mir fallen spontan Bereiche ein, wo der Einsatz solcher Technologien das dasein vieler Menschen deutlich verbessern kann oder wo ich denke das es schlicht gleich ist ob eine virtuelle oder reale Person agiert.

  5. Ja, und dann sind da noch die Kinder: Meine Tochter ist 11, inzwischen viel auf Insta unterwegs, und wenn ich ihre Smartphone-Zeit noch mehr begrenze, bekomme ich von allen Seiten zu hören “Das gehört doch heute dazu” – “Wir haben früher auch Dinge gemacht, die unseren Eltern nicht gefallen haben” – “ich sollte ihre vertrauen” – … Und sie selbst hat das stärkste Argument: Die Freundinnen machen es genauso und von denen bekommt sie immer diese Filmchen und jenen Influencer-Tipp geschickt. Ja, es macht was mit unserer Gesellschaft!!!

    • Jörg schieb am

      Allerdings. Das Netz nimmt den Eltern ihre Deutungshoheit weg, viel zu früh. Weil es im Netz auch praktisch keinen Jugendschutz gibt. TikTok ist noch viel schlimmer als Insta.

      • Das ist auch der Grund warum gerade viele “Marketing” Experten auf TIktok wechseln… Was in den Kinderzimmern dieses Landes abgeht sieht niemand.

  6. Stimmt schon, zum Teil. Eine andere Seite ist, dass diese Hochglanz-Fake-Figuren immer häufiger in die Kritik geraten (gut so) und dass es dort auch unglaublich viele echte, reale, teils sogar traurige oder kritische Beiträge gibt. Instagram ist einfach auch zu groß, um es über einen Kamm scheren zu können.

  7. In bester Wirecard-Manier: Sein ist nichts und Schein ist alles.
    Pippi Langstrumpf aka Inger Nilsson ist/war aber viel “niedlicher”, als diese Pseudololita mit ihrem aufgespritztem Kussmund und den leicht schielenden Katzenaugen. ;)

  8. Keiner wird gezwungen sich auf Instagram aufzuhalten…..

    Immer schön drauf klicken, blöd sind ja die anderen, weiter schimpfen und noch mehr Werbung für diesen Mist machen, den man ja angeblich so verabscheut. Außer man verdient selbst daran, ne?

    • Also nach meinem Verständnis machen wir hier keine Werbung, sondern setzen uns – im Gegenteil! – kritisch mit einer Entwicklung auseinander, die besorgniserregen ist. “Niemand ist gezwungen” war noch nie ein stechendes Argument, wenn es darum geht, sich mit Phänomen oder kritikwürdigen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Aus einem einfachen Grund: Auch wenn wir nicht “drauf klicken”, verändert er die Gesellschaft – und hat Einfluss auf uns alle.

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