Social Media in der Türkei: Zensur statt Kontrolle?

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Social Media in der Türkei: Zensur statt Kontrolle?

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Soziale Netzwerke wie Youtube, Facebook, Twitter und Co. unterliegen in der Türkei jetzt strengeren Regeln. Bereits Ende Juli war von der Regierung in Ankara das Social-Media-Gesetz verabschiedet worden, das nun in Kraft tritt.

Die Netzwerke werden nicht nur strenger kontrolliert, sondern müssen vor allem bei identifizierten Fehltritten schneller handeln. “Social Media wird an die Kette gelegt” berichtet die ARD-Korrespondentin aus Istanbul. Und das in einem Land, in dem Plattformen wie Youtube oder Wikipedia auch schon mal über längere Zeit komplett abgeschaltet sind.

Türkei nimmt unser Netz-Gesetz als Blaupause

Künftig sollen in der Türkei Beleidigungen, Hass und Hetze im Netz schneller und effektiver verfolgt werden. Das klingt gut und richtig – mehr davon. Das wünschen wir uns auch hier in Deutschland. Unser Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist ein wichtiges Werkzeug, dieses Ziel zu erreichen.

Und wie es scheint, haben die türkischen Machthaber das deutsche NetzDG als Blaupause verwendet. Vieles an den neuen Regelungen erinnert an unser NetzDG.

Zweifel sind angebracht

“Diese Kanäle, in denen es von Lügen, Beleidigungen, Angriffen auf das Persönlichkeitsrecht und Rufmorden wimmelt, müssen reguliert werden”, begründete Präsident Recep Tayyip Erdogan das neue Regelwerk. Wer wollte ihm da widersprechen?

Allerdings sind Zweifel angebracht, dass das wörtlich gemeint ist. Denn niemals wird sich Erdogan gefallen lassen, selbst an diesen Regeln gemessen zu werden.

Vorlage für das neue Regelwerk in der Türkei ist das deutsche NetzDG; Rechte: WDR/Schieb

Vorlage für das neue Regelwerk in der Türkei ist das deutsche NetzDG

Opposition befürchtet weitere Zensur

Kritiker und Opposition befürchten daher, dass ihre Möglichkeiten und Spielräume noch weiter eingeschränkt werden. Denn die Sozialen Medien sind vielfach die einzige Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern – und Kritik zu üben. Wenn aber Kritik am Machthaber oder an der Regierung als Lügen, Beleidigungen oder Angriffe verstanden werden, dann bedeuten die neuen Gesetze eine politische Zensur – auch in den Sozialen Medien.

Eingriffe in die Redefreiheit haben in der Türkei Hochkonjunktur. Die Transparenzberichte von Google, Facebook und Twitter zeigen schon heute: Am häufigsten müssen die Netzwerke Beiträge aus der Türkei löschen.

Schon seit Jahren steht die Türkei an erster Stelle – und das wird sicher so weitergehen. Denn die neuen Gesetze zwingen die Plattformen künftig noch öfter, tätig zu werden.

“Die Beleidigung von Erdogans Familienangehörigen war nur ein vorgeschobener Grund, um die Öffentlichkeit auf dieses geplante Social-Media-Gesetz vorzubereiten und von seiner Notwendigkeit zu überzeugen.”

Internet-Aktivist Ahmed Sabanci

Beispiel für Missbrauch sinnvoller Regeln

Die Türkei scheinen damit ein anschauliches Beispiel dafür zu sein, was passiert, wenn an sich sinnvolle Einschränkungen und Regelungen in Sozialen Netzwerken von der politischen Elite missbraucht werden. Dann wird aus Regeln ganz schnell politische Zensur. Der Grat ist schmal – die Türkei droht ihn zu verlassen.

Die neuen Regeln und Einschränkungen haben auch Auswirkungen auf die türkische Community in Deutschland. Zumindest, sofern sie sich im türkischsprachigen Bereich der Netzwerke austauschen, gelten die Einschränkungen auch für sie. Und sie bekommen nicht mehr ungefiltert mit, was in der Türkei los ist.

Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hat Kritiker: Markus Beckedahl

Über den Autor

Jörg Schieb ist Internetexperte und Netzkenner der ARD. Im WDR arbeitet er trimedial: für WDR Fernsehen, WDR Hörfunk und WDR.de. In seiner Sendung "Angeklickt" in der Aktuellen Stunde berichtet er seit 20 Jahren jede Woche über Netzthemen – immer mit Leidenschaft und leicht verständlich.

3 Kommentare

  1. Carsten Mohr am

    Mich schockiert mehr die Tatsache, dass beinahe willkürlich Menschen ins Gefängnis kommen. Die Gerichte nicht mehr unterscheiden, was wirklich begründeter Verdacht und was politisch motiviert ist. Darum fahre ich seit Jahren nicht mehr in die Türkei zum Urlaub. Ich muß nicht in Angst leben, plötzlich Mensch dritter Klasse zu sein, nur weil ich bei Facebook oder sonstwo eine Äußerung getätigt habe, bei einer Zeitung einen Leserbrief zu einem Thema schrieb oder vielleicht jemand mich lediglich denuzieren will. Dabei bin ich europäischer Abstammung. Ein Erdogan, der im Namen seines Volkes spricht, der auch gewählt wurde, dem traue ich nur eingeschränkt. Es gilt immer noch der Ausnahmezustand wegen des bis heute nicht ganz geklärten Staatsstreichs.
    Es ist traurig, was da aus der Türkei gemacht und damit ihren Bürgern seitens der Regierung angetan wird.

  2. (Quelle: dpa-infocom, 16.03.2017/11:43 Uhr):
    “…«Ihr führt Europa einem Abgrund entgegen», sagte Cavusoglu[…].«Bald könnten in Europa auch Religionskriege beginnen, und sie werden beginnen». […] Europa werde schon lernen, wie man mit der Türkei umzugehen habe, sagte Cavusoglu weiter. Ansonsten werde die Türkei es Europa beibringen. «Ihr werdet von Eurem befehlenden Diskurs absehen. Die Türkei befiehlt», sagte er. Die Türkei sei die «Umma», die weltweite Gemeinschaft von «zwei Milliarden» Muslimen. «Deshalb könnt Ihr mit der Türkei nicht im Befehlston sprechen. Ihr müsst anständig reden, Ihr könnt um etwas bitten.»”.
    Und dann, als der Tourismus so richtig den Bach runter ging, aus gleichem Mundwerk, ganz kleine Brötchen backend und selbst “um etwas” bittend:
    (Quelle: dpa-infocom, 01.01.2018/08:43 Uhr)
    “Cavusoglu ruft deutsche Touristen zur Rückkehr in die Türkei auf: Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hat deutsche Touristen trotz der politischen Spannungen zum Urlaub in der Türkei aufgerufen. Die Türkei sei ein sicheres Land, sagte Cavusoglu der dpa in Ankara. Die Türken würden die Deutschen traditionell als gute Freunde betrachten. Man könne Differenzen zwischen den Staaten oder Regierungen haben, aber das sollte die Beziehungen zwischen unseren Völkern nicht beeinträchtigen. Cavusoglu zeigte sich zuversichtlich, dass die Spannungen mit Deutschland abnehmen würden.”.
    Solche gegenläufig-gestörten Aussagen aus türkischen Regierungskreisen sind kein Einzelfall, sondern eher die Regel, wenn Sie sich z.B. die kriegerischen Statements Erdogans zum Gasstreit oder zur Flüchtlingsituation vom März an der griechischen Grenze “zusammengoogeln”.
    “Zensur statt Kontrolle!” – ohne Fragezeichen und ohne “Zweifel”! 50000+ politische/oppositionelle Gefangene seit dem “Militärputsch”, lassen gar keine andere Schlussfolgerung zu!

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