Telegram, die heimliche Kommunikationszentrale

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Telegram, die heimliche Kommunikationszentrale

Kommentare zum Artikel: 12

So wie Macht lässt sich auch jedes Instrument oder Werkzeug gebrauchen und missbrauchen. Ob jeweils das eine oder das andere vorliegt, ob also Gebrauch oder Missbrauch, liegt allerdings oft im Auge des Betrachters. Zumindest beim Messenger-Dienst Telegram ist das so: Anfangs wurde Telegram gelobt, weil Dissidenten in Russland damit geschützt (weil abhörsicher und nicht öffentlich) ihre Regierung kritisieren können. Bei den Unruhen in Hongkong dasselbe.

Attila Hildmann twittert kaum - er ist auf Telegram unterwegs; Rechte: WDR/Schieb

Attila Hildmann twittert kaum – er ist vor allem auf Telegram unterwegs

Darum ist Telegram bei Rechtspopulisten so beliebt

Doch schon länger setzen auch bei uns rechtspopulistische Gruppen erfolgreich Telegram ein – um sich virtuell zu treffen und auszutauschen. Das alles vollkommen anonym, diskret und abhörsicher. Denn bei Telegram ist alles verschlüsselt. Weil die Kommunikation über den Messenger nicht öffentlich ist, sondern in Gruppen abläuft, kann auch nichts gelöscht, gesperrt oder blockiert werden.

Das allein macht Telegram verständlicherweise schon beliebt. Einer, der Telegram bis zum Anschlag nutzt, ist Attila Hildmann, der sich schon als den nächsten Reichskanzler sieht. Hildmann bietet über Telegram einen Newsletter an – über 67.000 Personen haben den abonniert.

Geschlossene Gruppe – daher keine Einschränkungen

Wer wissen will, was drinsteht, muss sich der Gruppe anschließen. Aber weil es eine geschlossene Gruppe ist, gelten die Beiträge und Posts nichts als öffentlich. Sie lassen sich nicht lesen, korrigieren oder einschränken – selbst wenn sie strafrechtlich relevant sein sollten.

Aussagen wie “Die Weltbank wird regiert von den Rothschilds, und das sind nun mal die Zionisten” (Hildmann) sind nicht nur verstörend und abstoßend, sondern vor allem antisemitisch. Doch auf/in Telegram geht das: Wo kein Kläger, da kein Richter. Auch werden die schon so oft gehörten Gates-Verschwörungen hier quasi in Schleife ventiliert. Und selbstverständich auch und vor allem Corona-Verschwörungen jeder Art. Verbunden mit den entsprechenden politischen Aufrufen.

Auf Telegram lässt sich vortrefflich hetzen, Hass verbreiten, zu Straftaten aufrufen oder sogar der Holocaust leugnen – ohne dass irgend etwas gelöscht oder relativer wird. Geschweige, dass strafrechtliche Konsequenzen drohen.

Messenger: Eine komfortable Alternative für verschlüsselte E-Mails

Telegram: Ein gutes oder ein schädliches Werkzeug?

Für Ermittler eine schwierige Situation. Wer mitbekommen möchte, was auf Telegram los ist, muss schon Mitglied in den Gruppen sein. In einige kommt man ganz leicht hinein – in andere nur per Empfehlung. Das macht Telegram-Gruppen faktisch zu einem rechtsfreien Raum, da nicht öffentlich und schwierig zu kontrollieren.

Was also ist Telegram nun: Ein heilsbringendes Instrument, weil Dissidenten sich dort verstecken können (was den meisten im Westen gefällt) – oder Teufelszeug, weil sich auch zu Extremismus neigende Gruppen hier in Deutschland dort verstecken können (was den meisten wohl eher nicht gefällt)?

Es muss überlegt werden: Sind Gruppen mit 67.000 Mitgliedern nicht doch auch irgendwie öffentlich? Wie umgehen mit solchen neuen Werkzeugen?

Über den Autor

Jörg Schieb ist Internetexperte und Netzkenner der ARD. Im WDR arbeitet er trimedial: für WDR Fernsehen, WDR Hörfunk und WDR.de. In seiner Sendung "Angeklickt" in der Aktuellen Stunde berichtet er seit 20 Jahren jede Woche über Netzthemen – immer mit Leidenschaft und leicht verständlich.

12 Kommentare

  1. Als Gruppe von Long-COVID- und ME/CFS-Betroffenen ist telegram ein tolles Kommunikationsportal. So ein einfacher Austausch von Schrift-, Video- & Sprach-Aufnahme ist für sehr schwer Behinderte ein tolles Medium. Gerade auch für TN, die keine Kraft zum Lesen oder Schreiben haben. Eine wirkliche Alternative gibt’s da nicht.

  2. Gerade war aktuell ein Artikel auf Spiegel-Online zu lesen wie die Proteste gegen Lukaschenko in Weissrussland über Telegram organisiert werden.

    Wie so vieles dürfte es auf eine Güterabwägung hinauslaufen. Können Deutschland und andere Länder es aushalten, wenn sich auf manchem Kanal auch dubiose Gruppen im Promillebereich der Bevölkerung organisieren gegenüber der Möglichkeit in anderen Ländern überhaupt gegen Diktatoren protestieren zu können.

    Letzteres dürfte Vorrang haben.

  3. So, etwas verspätet… aber:
    Wer z.B. Kinderpornografie mit EINER EINZIGEN PERSON teilt wird wegen Verbreitung von Kinderpornografie belangt – und das ist gut so. Wer ansonsten beliebigen Dreck mit 67.000 Personen teilt kann nicht belangt werden. Warum? Weil die Öffentlichkeit nicht so klar reagiert wie bei KP. Weil es zu viele von den Idioten gibt die das als freie Meinungsäußerung sehen oder auch noch gut heißen.
    Da tappt der ermittelnde Beamte gerne mal an eine Person die sich zu wehren weiß …und dann? …dann lassen wir’s lieber!

  4. Miller24 am

    “Einer, der Telegram bis zum Anschlag nutzt, ist Attila Hildmann, (…)”

    ;-) Nette Doppeldeutigkeit, ist das beabsichtigt?

  5. Ich will nicht wissen was es noch für Gruppen auf Telegram gibt, dessen Inhalt fragwürdig ist.

    Zwar ist Telegram sehr gut was Anonymität betrifft, aber auch Gefahr des Treffpunkts für Menschen die nicht so gerne ins Licht treten dürften.

    :(

  6. Mit einem Hammer oder ein Axt kann man Menschen töten. Mit Hass und Hetze auch. Allerdings heißt der Missbrauch eines Werkzeuges nicht, dass es gut oder schlecht ist.

  7. Ob das Beispiel mit den Rechtspopulisten “besonders relevant” ist, sei mal dahingestellt. In meinem Leben spielen Rechtspopulisten nur eine untergeordnete Rolle, interessanterweise beschränkt sich der “Kontakt” mit dieser Seite des Extremismus bisher fast ausschließlich auf mediale Berichterstattung. Was hingegen auch außerhalb der Berichterstattung mein und unser Leben immer mehr tangiert, das ist der Linksextremismus, der z.B. von der sog. “Antifa” offen gelebt wird. Das wird in unserer Gesellschaft nahezu komplett ignoriert, auch von Ihnen, Hr. Schieb. Aber, um das Rad mal weiter zu drehen: wenn wir das ganze politpropagandistische Gefasel weglassen, was bleibt denn dann übrig?
    Ein Messenger. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ein Messenger, den z.B. auch der WDR intensiv nutzt.
    Die Straßen in meiner Stadt. Sie werden genutzt von mir, von vielen anderen “unbescholtenen” Bürgern, aber auch von Rechts- und Linkspopulisten und -extremisten.
    Es muss überlegt werden: Sind Straßen mit ‘zig Nutzern am Tag nicht doch auch irgendwie öffentlich? Wie umgehen mit ihnen?

    • Danke für den Beitrag. Aber dass ich sozusagen auf dem linken Auge blind sei, ist eine Unterstellung, die ich so nicht stehen lassen möchte. Im Gegenteil. So habe ich in den letzten Tagen zB sehr ausführlich kritisch über die “Cancel Culture” berichtet, und die Linke kritisiert, die hier ebenfalls die Sozialen Netzwerke missbraucht. Auch möchte ich nicht den Eindruck stehen lassen, ich sympathisiere mit der Antifa. Ansonsten: Es gibt viele Themen zu diskutieren – aber dieses eben auch. Wie lässt sich Missbrauch erkennen – und ggf. verhindern?

      • Danke für Ihre Klarstellung! Es ging mir aber auch gar nicht darum, Sie persönlich anzugreifen – dann wäre das kein Nebensatz nach dem Komma geworden. Es ging mir primär darum, daß in journalistischer Berichterstattung seit Jahrzehnten _immer_ zuerst irgendwelche Vergleiche zu Rechten gemacht werden. Wenn ich mir aber die Antifa-Gewalt der letzten Jahre anschaue (G20, Hambacher Forst, diverse Demos in Berlin und anderswo) frage ich mich, wieso ständig “Gefahr von Rechts” propagiert wird, wo doch die “Gefahr von Links” zumindest derzeit viel realer und greifbarer ist. Ich finde diese, u.a. im aktuellen Beitrag auch ihre, Art der “Sensibilisierung” schwierig. Ich persönlich möchte weder rechte Parolen noch hunderte Meter lange Antifa-Gewaltaufrufe auf den Lärmschutzwänden der A40 lesen!
        Aber sei es drum, das hier soll ja keine politische Diskussion sein.
        Also zurück zu Telegram:
        Wäre Telegram – jetzt wirklich rein technisch betrachtet, ohne jegliche politische Dimension – ein perfekter Messenger, so ließe sich Mißbrauch weder erkennen noch verhindern!
        Und ganz ehrlich: das fände ich sogar sehr gut, es wäre in meinen Augen das Optimum! Warum? “Mißbrauch” ist eine soziale/gesellschaftspolitische Fragestellung und keine technisch/mathematische. Und diese soziale Frage muß man an anderer Stelle stellen, weit vorher.
        Man muss sich ganz klar fragen: warum soll bei Telegram o.ä. Messengern auf einmal etwas (nämlich die soziale Komponente) Einfluß haben bzw. hinterfragt werden, was bei jeglicher anderer Kommunikation auch gegeben ist? Konsequenterweise müsste man nämlich sonst sowohl verschlossene Briefe als auch z.B. schon Flüstern verbieten.

        Ganz klar: zum Glück gibt es keine vollständig transparente Welt, und in einer ebensolchen würde ich auch nicht leben wollen. Das Leben ist Risiko, da kann, muss und will ich damit leben, daß es auch Subjekte gibt, die Dinge “heimlich” machen.

  8. Der Telegram-Channel @ISISwatch verbannte alleine gestern (6.8.) 729(!)* terroristische Bots und Kanäle. Allein im kurz fortgeschrittenen Monat August waren es (Stand gestern) 4222(!) Bots und Kanäle; im abgelaufenen Monat Juli total 18826(!).
    Die gefährlichste Hauptbedrohung -nämlich, die durch den religiös-motivierten IS-Terror- erwähnen Sie allerdings nicht, Herr Schieb, konzentrieren sich stattdessen nur auf rechte Spinner und die sog. Covidioten. Warum?
    * telegram . me/s/ISISwatch

    • Nun, Sie haben Recht, dass IS-Terror eine sehr große Gefahr ist. Ich habe das Beispiel mit den Rechtspopulisten aufgegriffen, da es derzeit besonders relevant ist — hier sammeln sich immer mehr Menschen und desinformieren sich.

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