Die politische Corona-Sprachpanscherei

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Die politische Corona-Sprachpanscherei

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Na, sprechen Sie auch schon “Corona”? Also diskutieren Sie über einen “Lockdown” für den Kreis Gütersloh, nachdem in der Fleischverarbeitung bei Tönnies DER “Hot-Spot” in Europa entstanden ist? Sind sie für einen “Shutdown” oder wollen Sie, dass die “neue Normalität” weiter geht? Also die mit dem “Social Distancing” und der “Tracing-App”? Sie ahnen, worauf ich hinaus will. Wir müssen über die Corona-Sprache von uns hier rund um den Landtag reden!

Ich bin mir dabei bewusst, dass es eine todsichere Art gibt, sich als Journalist oder Journalistin unbeliebt zu machen: Schreiben Sie einfach ein Buch über die Sprachpanscherei im eigenen Berufsstand und bei den Politikern und Politikerinnen im Land. Fragen Sie zum Beispiel in den genannten Gruppen nach Wolf Schneider. Der Alt-Journalist, unter anderem tätig bei Welt, Stern und NDR, ist selbst mit 95 noch der erste Name für Sprachkritik. Allerdings: So sehr er mit seinen in Buchform gegossenen Anmerkungen Recht hatte und hat, einen Publikumspreis wird er nie gewinnen, würde man in den Branchen Journalismus und Politik über eine Ehrung abstimmen lassen.

Der “Lockdown”, den es nie gab

Trotzdem schadet uns so langsam ein bisschen mehr “Wolf-Schneider-Attitüde” nicht, eben wegen des entstandenen “Corona-Wörterbuchs”. In diesem stehen Begriffe und Konstrukte, die mir inzwischen nur noch Augen und Ohren schmerzen lassen. Fangen wir mit dem Wort “Lockdown” an: Übersetzt heißt es auch “Ausgangssperre” und wird damit auch irgendwie synonym verwendet. Eine solche Sperre hatten wir in NRW allerdings nie. Wir durften unbegrenzt rausgehen, einkaufen, arbeiten, joggen und, und, und. Selbst auf dem Höhepunkt der politischen Corona-Unsicherheit gab es keine Ausgangssperre wie in anderen Ländern. Man durfte sich nur mit fast niemanden in der Öffentlichkeit treffen, und es herrschte ein “Teil-Shutdown”. Zwar ist dieser Begriff eventuell präziser, da er sich auf Wirtschaft, Verwaltung und Computer bezieht, aber eben nicht auf mögliche Ausgangssperren.

Das Problem mit all den Begriffen daher ist eigentlich klar – leider nicht für unsere Landespolitik, oder sagen wir genauer: für den Ministerpräsidenten selber. Armin Laschet hat am vergangenen Tönnies-Wochenende das Wort “Lockdown” in Dauerschleife erwähnt: Alleine sechs Mal (per Hand gezählt) in einem ZDF-Interview am 21.06.2020 – und wir Journalisten und Journalistinnen übernehmen das Wort, bis es schmerzt. Ich traue mich kaum noch, einen Blick in die tägliche Presseschau zu werfen. So wie es da vom “Lockdown” wimmelt. Dabei könnte man es leicht umgehen, man muss nur darauf achten, wie allgemein die Menschen so über die Maßnahmen gegen Corona reden. Meine Nachbarschaft spricht zum Beispiel nicht vom “Lockdown” – da haben die Leute Angst vor weiteren oder längeren Schul- und Kita-Schließungen, davor, dass ihr Betrieb wieder geschlossen wird, Kurzarbeit droht oder man sich nicht mehr mit dem Freundeskreis treffen darf.

Bitte kein “Social Distancing”

Apropos “Kontaktbeschränkungen”: Die Alternative dazu ist “Social Distancing”. Eine der schwierigsten Konstruktionen der Polit-Blase. Ich halte nämlich gerne Abstand ein und sehe auch den Sinn in Kontaktbeschränkungen. Aber warum ich wegen des Virus – übersetzt – “soziale Distanz” halten soll, habe ich nie verstanden. Im Gegenteil: Natürlich will ich sozial aktiv bleiben, mich mit Menschen per Videokonferenz treffen, mit Freunden ein sogenanntes “Abstandsbier” trinken und helfen, wenn in meiner Stadt Hilfe für Leute in Quarantäne organisiert werden muss. “Social Distancing” im Wortsinne sieht das nicht vor.

Es sind jedoch nicht ausschließlich die Anglizismen, die mich stören. Auch deutsche Corona-Un-Wörter existieren. Zum Beispiel das “Betretungsverbot” für die Kitas, das bis zum 8. Juni galt. Klar, das ist ein juristischer Bericht, der einfach notwendig ist, alle aus der Kindertagesstätte zu halten. Aber das Wort hat einen Charme wie das Strafgesetzbuch. Es klingt nach Schwerverbrechen, sollte man nur einen Fuß auf das Gelände setzen. Die Landespolitik hat üppig von dem Wort Gebrauch gemacht. Wenn man irgendwann einmal fragt, warum sich Eltern in der Corona-Pause (meine Alternative zu “Lockdown”, “Shutdown” und ähnlichem) alleine gelassen gefühlt haben – das Wort “Betretungsverbot” hat seinen Beitrag dazu geleistet. Da bin ich mir sicher. (“Was haben Sie verbrochen?” – “Ich habe  Kinder!”)

Neue Normalität? Alltag!

Warum ich so klugscheiße? Weil die Pandemie noch nicht vorbei ist. Und weil das sprachlich eingeschränkte Corona-ABC die Politik, die letztlich entscheiden muss, wie es weitergeht, so unfassbar mechanisch und weit weg vom Alltag (nicht zu verwechseln mit der “Neuen Normalität”) der Menschen erscheinen lässt. Dieses Empfinden könnte sich im weiteren Verlauf der Pandemie rächen. Die Leute müssen nämlich bei so ein paar Sachen noch einige Monate mitziehen. Da sollte man auf eine normale, lebensnahe und verständliche Sprache setzen. Falls tatsächlich mal ein “Lockdown” wegen einer “zweiten Welle” notwendig ist…

Über den Autor

Geboren 1980, aufgewachsen am linken Niederrhein. Im WDR seit 2006 als Nachrichtenmann und politischer Berichterstatter unterwegs. Aktuelle Schwerpunkte bei SPD, AfD, Hochschul- und Sportpolitik im Land. Und sogar mit eigenem landepolitischen Podcast.

4 Kommentare

  1. Thomas Eisenhuth am

    Schön, dass Sie die Sprache in Corona-Zeiten kritisieren. Ich sehe das sehr ähnlich. Dass Sie bei einem öffentlich-rechtlichen Sender arbeiten, sieht man sofort. Die ständige Betonung, dass bei Nennung einer Berufsgruppe diese auch aus Frauen besteht wirkt zu weilen ein bisschen peinlich. Zumal jeder weiß, dass Funktion nichts mit biologischen Geschlecht zu tun hat.

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