Die verordnete, digitale Paartherapie

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Die verordnete, digitale Paartherapie

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Die Corona-App soll weiter entwickelt werden. Also mit Kontakttagebuch, besserem Austausch von Daten und auch das Handling insgesamt soll benutzerfreundlicher werden. Das ist ein Detail der Verhandlungen von Bund und Ländern, weil sich die App nun halt eben nicht als Heilsbringer in der Pandemie erwiesen hat und auch bis zur Zulassung eines Impfstoffes nicht so schnell weiterentwickelt werden kann, dass sie das Spiel mit Corona noch substanziell verändert. Aber für künftige Epidemien, ja sogar schwere Grippewellen, ist das Tool sicher interessant und dann wichtig.

Spannender ist jedoch, wer jetzt erst einmal an der Entwicklung werkeln soll: Ein Expertengremium, bei dem die Landesregierungen von NRW und Baden-Württemberg eingebunden sind. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte: “Das hat das Ziel, diesen großen parteipolitischen Konsens mit einem Ministerpräsidenten der Grünen und einem Land, in dem die FDP mitregiert, zu ermöglichen.”

Diese Idee erscheint logisch. Nur in Baden-Württemberg stellen die Grünen den Regierungschef, nur in NRW regiert die FDP ohne Dreierkoalition mit. Zudem legt Ministerpräsident Laschet durchaus Wert darauf, den kleinen Koalitionspartner nicht als reinen Mehrheitsbeschaffer zu betrachten. Gerade der Blick in die rot-grüne Landeshistorie Nordrhein-Westfalens zeigt, dass das auch anders geht. Außerdem ist die FDP in der Ministerpräsidentenkonferenz nicht vertreten: Sie stellt keinen Regierungschef. So weit, so konsensual.

Historisch betrachtet ist das aber durchaus – mit einem kleinen Schmunzler – als landespolitische Paartherapie zu verstehen. Über die Jahrzehnte hat es keine härtere Rivalität, ja fast schon Feindschaft gegeben als zwischen Grünen und Freidemokraten. Während SPD und CDU irgendwie – auch untereinander – mal mehr, mal weniger, aber immer noch mit den meisten Parteien (mit Ausnahme der AfD und CDU-seitig mit den Linken) klargekommen sind, steht die gelb-grüne Mauer der gegenseitigen Abgrenzung.

Auch wenn diese inzwischen Risse bekommt, das Bauwerk der gegenseitigen Ablehnung steht immer noch stabil. Nahezu jeder Landtagsberichterstatter und jede -berichterstatterin kennt das: Wo ein gelber Giftpfeil in die grüne Richtung fliegt, ist die Replik nicht weit. Wer gerade noch ein paar flotte Sprüche über vermeintliche Marktradikale auf grünen Landtagsfluren gehört hat, muss nur ein paar Meter weiter gehen und hört schnell die Geschichte der ökologischen Verbotspartei.

Die gegenseitige Ablehnung rührt noch aus Zeiten Jürgen W. Möllemanns, in der zum Beispiel ein mehr als umstrittener Abgeordneter (Jamal Karsli) mal so eben von Grün zu Gelb wechselte und dann auch noch da rausflog. In den schwarz-gelben Rüttgers-Jahren verfestigte sich diese Feindschaft. Als am Abend der turbulenten Landtagswahl 2010 zumindest klar war, dass es keine FDP-Regierungsbeteiligung mehr geben wird, wurde bei den Grünen gefeiert und die Ätzereien gingen los. Heute würde das in der Form sicher leiser vonstatten gehen, weil es nicht mehr ganz so vergiftet zugeht. Aber die Ablehnung bleibt.

Für mich war das aber nie ein rein persönliches Problem, das die beiden da miteinander haben. Im Kern sehe ich da immer nur zwei Parteien, die sich ihre Gemeinsamkeiten nicht eingestehen wollen, weil sonst die Abgrenzung sehr, sehr schwierig werden würde. Warum? Beide Parteien sind auf technologischen Fortschritt angewiesen, sonst klappt es mit der inhaltlichen Ausrichtung nicht. Beide haben Wählergruppen, die eher aus dem Milieu der Besserverdiener kommen, wobei die einen etwas urbaner sind als die anderen. Aber: Bei der Auflösung des oft (falsch) angenommenen Widerspruchs von Wirtschaft und Umweltschutz haben beide Parteien sicher mehr spannende Kompromissmöglichkeiten, als sie sich eingestehen wollen. Man schaue halt einfach darauf, wie abhängig beide Parteiprogramme von moderner Technik sind. Grün wie Gelb wollen mehr Digitalisierung, technisch bessere Alternativen bei der Energie und Wohlstand, der nachhaltig ist. Sie bezeichnen sich beide als progressiv und liberal. Sie sind sich ähnlich, trotz unterschiedlicher Wege, die man für diese Inhalte geht.

Insofern ist es jetzt durchaus interessant, dass die Bund-Länder-Kommission FDP und Grüne in dieses digitale Dating-Experiment schickt. Aber ich bin natürlich nicht so naiv, dahinter einen Altruismus der anderen zu entdecken. SPD und Union brauchen im Bund wie im Land Koalitionspartner. Beide haben keinen Bock mehr, auf ewig miteinander zu koalieren. In Zeiten von sechs Bundestagsfraktionen braucht man jedoch schnell mal drei statt zwei Parteien, um zu regieren. Da ist es aus Sicht von CDU, CSU und SPD nicht verkehrt, wenn sich FDP und Grüne mal miteinander locker machen, man 2021/22 die Optionen von Ampel (SPD-Grüne-FDP) und Jamaika Kenia (CDU-Grüne-FDP) hat und nicht wieder sagen muss, dass man lieber nicht als falsch regieren will.

Über den Autor

Geboren 1980, aufgewachsen am linken Niederrhein. Im WDR seit 2006 als Nachrichtenmann und politischer Berichterstatter unterwegs. Aktuelle Schwerpunkte bei SPD, AfD, Hochschul- und Sportpolitik im Land. Und sogar mit eigenem landepolitischen Podcast.

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