Wie kompromisslos darf die Parteijugend sein?

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Wie kompromisslos darf die Parteijugend sein?

Kommentare zum Artikel: 1

Ein junger Künstler würde wohl kaum auf den Rat hören, er solle ein Bild besser nicht malen, weil es eh niemand kaufen wird. Jeder angehende Künstler, der sich selbst und seine Fähigkeiten ernst nimmt, wird eher seinen Idealen vertrauen als dem Geschmack des Mainstreams.

Das kam mir in den Sinn, als ich diese Woche gelesen habe, die Bundestagsabgeordnete Renate Künast attestierte dem Vorstand der Grünen Jugend, nicht realitätstauglich zu sein, ihre Ideen – zu links.

Nachdem in der vergangenen Woche zuerst der Bundesvorstand der Grünen zurückgetreten war, kündigten kurz danach diverse Vorstände der grünen Jugendverbände in den Ländern ebenfalls ihre Rücktritte und teils sogar Parteiaustritte an. Offenbar identifizieren sie sich nicht mehr mit der Mutterpartei, die ja gerade in Regierungsverantwortung viele Kompromisse eingehen muss. Davon einige, die an grünen Kernwerten kratzen. Auf genau solche Kompromisse bezog sich die bald ehemalige Landessprecherin der Grünen Jugend NRW: zu oft würden schlechte Kompromisse gemacht.

Natürlich gehören Kompromisse zur Politik, sonst könnte keine Regierung arbeiten. Politik ist das Ringen um eine Lösung, die bestenfalls für alle gut, zumindest aber akzeptabel ist.

Diese Woche dachte ich aber auch über die Freiheiten der Jugendverbände nach. Sie können, so sagte es mir Alexander Steffen, Landesvorsitzender der FDP-Jugend JuLis, die „reine Lehre“ der Partei vertreten und die Politik kritisch begleiten. Dass ein Jugendverband eben nicht in Regierungsverantwortung ist, macht ihn und seine Mitglieder frei von gewissen Zwängen. Ein bisschen wie der idealistische junge Künstler.

Die Jungen müssen noch keine Kompromisse finden, sie können auf ihre Ideale setzen und sich mit Vorschlägen einbringen. Und wer, wenn nicht die Jugendverbände, sollte sagen dürfen: Diesen Kompromiss gehen wir nicht mit?! Wenn schon sie darauf achten sollen, wie man möglichst reale Politik macht und die Interessen der anderen Parteien gleich mitdenkt, dann verschwimmen die Grenzen derart, dass bald niemand mehr weiß, wofür eine Partei steht und ob man sich mit ihr identifizieren kann. Dann laufen die – gerade jungen – Wähler auf Dauer davon.

Jugendverbände dürfen kompromisslos sein. So ein Verband muss keine Kaderschmiede sein, sondern einfach der Ort, an dem junge Menschen mit ähnlichen Werten und Idealen zusammen daran arbeiten, dass ihre Ideen künftig in die Politik einfließen. Das ist gelebte Demokratie.

Übrigens bleibt, anders als bei der Grünen Jugend, beispielsweise bei JuLis und Jusos in NRW soweit alles beim Alten. Im Interview mit dem WDR sagte die frisch wieder gewählte Vorsitzende der Jusos, Nina Gaedike, sie wolle lieber innerhalb der Strukturen etwas verändern.

Den radikalen Rückzug der jungen Grünen können viele nicht nachvollziehen. Man kann der Jugend mangelndes Durchhaltevermögen attestieren und sagen: Jetzt beißt doch mal die Zähne zusammen, stellt euch aufrecht hin, blickt dem Sturm ins Gesicht und weiter geht’s. Man kann aber auch sagen: Okay, eure Partei vertritt eure Werte nicht? Dann macht es anders, macht es besser. Eigentlich ist das nur konsequent. Zumal sich einige der jungen Grünen eh sehr weit von der Partei entfernt hatten.

Bei den (älteren) Grünen hat man den Rücktritt der Jugend teils mit einem Achselzucken hingenommen, zumindest auf Bundesebene. Vielleicht sollte der eine oder die andere daran zurückdenken, wie sehr man sich selbst früher mal Veränderung gewünscht und vielleicht auch Ideen eingebracht hat, die nicht sehr realistisch schienen. An die Zeiten, als sich die Worte „pragmatische Lösung“ auf der Zunge so anfühlten wie drei Tage alter Streuselkuchen.

In NRW bedauert die Vorsitzende der Grünen, Yazgülü Zeybek, die Entscheidung immerhin, doch sie freue sich über alle engagierten Mitglieder. Was ihr Co-Vorsitzender Tim Achtermeyer denkt, können Sie hier in unserem neu gestalteten Podcast hören.

Nochmal zurück zur Kunst. Sie erwächst aus der Künstlerin oder dem Künstler selbst – und doch kommt sie dauerhaft nicht ohne Publikum aus. Ähnlich verhält es sich mit Politik, von der es auch heißt, sie sei die Kunst des Machbaren. Wenn sie es nicht schafft, Menschen, also potentielle Wähler, zu erreichen, dann richtet sie nicht viel aus. Also macht sich auch ein Künstler irgendwann Gedanken darüber, welches Publikum er mit seinen Bildern ansprechen möchte und wie ihm das gelingt. Insofern kann auch er sich auf Dauer nicht ganz von der Realität abkoppeln, sonst bleibt seine Kunst im Atelier verborgen.

Über den Autor

Nadja Bascheck arbeitet als Autorin und Moderatorin für verschiedene Formate, gerne mit dem Fokus auf soziale und gesellschaftliche Themen. Seit Anfang 2023 ist sie als Reporterin für die Redaktion Landespolitik im Einsatz.

Ein Kommentar

  1. Götterdämmerung in Grün am

    Ein Künstler muss Kunst verkaufen, Parteien müssen Politik „verkaufen“.
    Das ist dabei überhaupt kein Problem, wenn die Parteijugend mal etwas über das Ziel hinausschießt. Zum Problem wird es erst, wenn man Protest mit etwas Verkehrsbehinderung nicht mehr von Nötigung unterscheiden kann; ein Unterschied zwischen gebührenfreier Verwarnung und 5 Jahren Gefängnis.
    Kann sich ein Teil der Parteijugend nicht mehr mit der Partei identifizieren und verlässt die Partei ist das besser als nur noch für Zwist zu sorgen. Parteiaustritt kann man bedauern oder nicht, es ist konsequent. Gewählt oder nicht wird am Ende die Partei, nicht die Parteijugend. Wenn sich die Extremen von den Grünen verabschieden ist das nur von Vorteil für die Partei Bündnis 90/Die Grünen.
    Zustimmung:
    „Jugendverbände dürfen kompromisslos sein“, zumindest tendenziell.
    Das darf man dann auch nicht überbewerten.
    Das gilt für jede Parteijugend, den Jungen Liberalen wie erwähnt und dann natürlich auch für die Junge AfD die man lieber nicht als Beispiel herangezogen hat.
    Das ändert alles nichts daran, die Grünen schaffen es immer weniger „potentielle Wähler zu erreichen“. Dann wird das mit einer kompromisslosen Jugend nicht besser, aber viel schlechter auch nicht mehr.

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