Tag 107: Kein Plan B

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Tag 107: Kein Plan B

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Die Befragung des 50-jährigen Polizisten geht weiter. Der Zeuge beantwortet Fragen von Staatsanwaltschaft, Nebenklägern und Verteidigern zu Polizeiwagen, Polizeiketten, Polizeikommunikation. Allesamt bekannte Themen im Prozess – vor allem die Ketten.

Der Beamte schildert, wie er und seine Kollegen am Tag der Loveparade-Katastrophe – mitten im eskalierenden Gedränge an Rampe und Tunnel – versuchten, “etwas gewinnbringend umzusetzen”. Er ringt um Worte: “Ich kann mich ja nicht daneben stellen und nichts tun.” Im Nachhinein wissen wir, dass die Maßnahmen der Polizei die fatale Massenpanik zumindest nicht verhinderten, vielleicht aber sogar zur Verschärfung der Lage beitrugen.

Veranstalter sollte sich kümmern

Erneut wird deutlich, dass die “kleinen” Polizisten am entscheidenden Ort der Parade schon vor dem Einsatz nicht daran glaubten, dass das Zugangskonzept bei der Duisburger Loveparade funktionieren würde. Und der Zeuge bestätigt auch, dass kein Notfallplan der Polizei vorlag für den Fall eines bedrohlichen Staus der Besucher am Übergang zum eigentlichen Veranstaltungsgelände: “Es gab keinen Plan B.”

Seine Vorgesetzten hätten ihm gesagt, der Veranstalter werde sich schon kümmern und mit Ordnern dafür sorgen, dass die Menschenmassen zügig durchgehen Richtung Partyareal.

Kaffee, Kuchen, Skiurlaub

Die Zeugenvernehmung wird dann sehr kleinteilig. Ein Verteidiger will wissen, wie genau Polizeiketten gebildet werden. Ein anderer Verteidiger verliest minutenlang eine Zeugenaussage, zu der dieser Zeuge aber nichts sagen mag. Der Richter ermahnt den Anwalt, Vorhalte sollten kurz und knapp sein.

Eine Verteidigerin will Genaues erfahren über ein Treffen des Beamten mit anderen Polizisten, die ebenfalls als Zeuge aussagten. Die Anwesenden im Gerichtssaal hören, dass die Kollegenrunde laut Zeuge “zwischen einer Stunde 45 Minuten bis zwei Stunden fünf Minuten” zusammen saß – bei Kaffee und Kuchen. Man habe unter anderem über den Unfall eines der Kollegen gesprochen, der gerade aus dem Skiurlaub zurückgekehrt sei.

Morgen sagt der nächste Polizist als Zeuge aus. Ich persönlich finde es richtig und wichtig, dass zahlreiche Polizisten im Prozess als Zeugen aussagen müssen. Es geht dabei nicht darum, einzelne Beamte an den Pranger zu stellen. Es muss um lückenlose und gründliche Aufklärung aller Fehler, Versäumnisse und Pannen gehen – gerade weil kein einziger Polizeibeamter in diesem Prozess auf der Anklagebank saß und sitzt.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

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