Tag 163: Keine Zeugen – Dafür jede Menge Zahlen

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Tag 163: Keine Zeugen – Dafür jede Menge Zahlen

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An diesem Prozesstag gibt es keine Zeugen. Das Gericht nutzt den Tag, um Beweismittel einzuführen. Es werden stundenlang Schriftstücke verlesen. Wichtige Schriftstücke. Da es in diesem Prozess eine fast unüberschaubar große Menge an E-Mails, Protokollen, Ermittlungsakten, Plänen, Videos, etc. gibt, wird sich heute mit nichts anderem beschäftigt. Das Saallicht wird gedimmt und die drei Richter lesen im Wechsel vor, was die Anwesenden auf den drei Großleinwänden verfolgen können.

Sicherstellung von Beweismittel

Beim ersten Schriftstück fällt mir gleich das Datum auf. Es stammt aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft. Daraus geht hervor, dass eine Durchsuchung bei einem der Angeklagten durchgeführt, eine Festplatte und ein Laptop beschlagnahmt wurden.  Die Daten sollen am 4.3.2011 gesichert worden sein. Mehr als ein halbes Jahr nach der Loveparade-Katastrophe.

“46 Personen pro Minute je Meter”

Unter den gesicherten Daten befinden sich E-Mails und ein Dokument, das sich wohl rückblickend mit der Planung beschäftigt. Darin geht es im Wesentlichen um Menschenströme und den dazu gehörenden Berechnungen. Man habe, so steht es in diesem Dokument, angenommen, dass 31.000 Menschen pro Stunde am Bahnhof in Duisburg ankommen würden – über den ganzen Tag verteilt sollten es 485.000 sein. Durch die Einlasskontrollen am Tunnel sollten 480 Personen pro Minute laufen. Auf der Zugangsrampe sollten 46 Personen pro Minute je Meter durchkommen.

Eine Menge Zahlen fliegen mir heute um die Ohren, von denen mich eine besonders beschäftigt. Wenn 46 Personen pro Minute je Meter an der Zugangsrampe durchkommen sollten, wie breit war die Rampe denn letztlich? Wie breit war sie mit all den Gittern und Hindernissen, die man auf den Videos erkennen kann? An welcher Stelle der Rampe sollten 46 Personen pro Minute je Meter durchkommen? Und hat man dabei bedacht, dass die Leute nicht gerade auf die Rampe zulaufen, sondern aus zwei entgegengesetzten Richtungen zusammenlaufen und auf die Rampe einbiegen müssen? Hat man einkalkuliert, dass es Gegenverkehr gibt? Dass Menschen die Rampe hinunterkommen, weil sie nach Hause wollen? Was soll mir 46 Personen pro Minute je Meter sagen? Und während ich in meinem Kopf Fragen formuliere, ist das Gericht schon zum nächsten Beweismittel übergegangen.

Die Auseinandersetzung mit dem Gutachter Keith Still

Es geht weiter mit der ausführlichen schriftlichen Stellungnahme eines der Angeklagten zum früheren Gutachter Keith Still. Es folgen wieder Zahlen, Tabellen, Schaubilder. Eine fachlich spezifische Auseinandersetzung mit Zitaten, Quellenangaben und Diagrammen. Das Dokument kann nicht zu Ende verlesen werden. Für heute ist Schluss.

Aussichten

Das Gericht hat bekanntgegeben, dass im März 2020 Prof. Jürgen Gerlach, der Sachverständige des Prozesses seine Ergebnisse präsentieren und Fragen beantworten wird. Dann wird es wieder jede Menge Zahlen geben, aber hoffentlich auch zufriedenstellende Antworten.

Über den Autor

in Duisburg geboren. Nach einem Volontariat bei einem TV-Sender ging es weiter als freie Videojournalistin für verschiedene TV Sender und internationale Online-Plattformen. Seit 2016 im WDR Studio Duisburg zuhause.

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