Tag 64: Von Gladbeck nach Duisburg

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Tag 64: Von Gladbeck nach Duisburg

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“Dass es so weit kommen konnte, lag auch und vor allem an Fehlern der verantwortlichen Einsatzleitung in Nordrhein-Westfalen.” Mit diesen Worten entschuldigte sich heute der NRW-Landtag für Polizeifehler beim Gladbecker Geiseldrama von 1988. Vielleicht wäre auch im Fall des Duisburger Loveparade-Unglücks von 2010 eine Resolution angebracht – zumal der Landtag einst einen Untersuchungsausschuss abgelehnt hatte.

Bei Zeugen-Vernehmungen von Polizeibeamten im Loveparade-Prozess verfestigt sich nämlich ein düsteres Bild: Die Polizei unterstützte das verfehlte Sicherheitskonzept. Die Polizei war am Unglückstag schlecht organisiert, ihre Kommunikation via Funk und Telefon versagte. Beamte bildeten mitten im Gedränge spontan und ohne Absprache mit dem Führungsstab Polizeiketten – was die Massenpanik wohl verschärfte. Auch das neue Experten-Gutachten für den Prozess rügt die Polizei. Auf der Anklagebank aber sitzt kein einziger Polizist.

“Nicht böswillig” oder “hanebüchen”?

Am zweiten Tag seiner Zeugenaussage wirkt ein 57-jähriger Duisburger Polizist zunehmend verunsichert. Bei etlichen Nachfragen von Verteidigern und Nebenklägern reibt er sich nervös die Hände. Es sei “nicht böswillig”, dass er sich an viele Details der Loveparade nicht erinnern könne, sagt der Zeuge. Ein Verteidiger blafft ihn an: “Sie wollen nicht.” Ein Nebenklage-Anwalt hält das Verhalten des Zeugen, der immer und immer wieder auf Erinnerungslücken verweist, für “hanebüchen”.

Der Zeuge beschreibt, wie er am 24. Juli 2010 im Führungsstab der Polizei arbeitete. “Es war ein Grundgrummeln”, beschreibt er die Atmosphäre im Lagezentrum. Mitten in die Hektik hinein stattete auch noch der damalige Innenminister Ralf Jäger (SPD) den Polizisten einen Besuch ab.

Es gibt Nachfragen der Verteidiger zu Befehlsabläufen der Polizei. Der Zeuge sagt, es könne “auch schon mal zehn Minuten” gedauert haben, bis die Beamten auf eine neue Lage an Rampe und Tunnel zum Techno-Gelände reagierten. Von Stab zur Hundertschaft zum Abschnittsführer und zurück. Der hierarchische Polizei-Apparat war ganz offenbar überfordert damit, am Nachmittag der Katastrophe schnell auf die fatale Eskalation zu reagieren.

“Schockstarre” habe im Führungsstab nach ersten Meldungen über Tote geherrscht, sagt der Zeuge. Die Verteidiger, die die zehn angeklagten Mitarbeiter von Stadt Duisburg und Veranstalter-Firma vertreten, lesen danach noch lange Stellungnahmen vor. Von “blinder Führung” bei der Polizei spricht ein Verteidiger zum Ende des Prozesstags.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

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