Tag 66: Schon bessere Tage gesehen

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Tag 66: Schon bessere Tage gesehen

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Die Zugangskarte Presse, die ich an der Sicherheitsschleuse bekomme, weist Gebrauchsspuren auf. Die Laminierfolie hat einige Knicke und Knitterfalten, die Karte hat schon bessere Tage gesehen. Damit repräsentiert sie sowohl mich als auch den aktuellen Prozesszustand gut. Ich habe mir einen blöden Infekt gefangen, kann den bellenden Husten nicht immer unterdrücken und das Gericht hat sich einen wenig erhellenden Zeugen vorgeladen.

Fragen laufen ins Leere

Der Polizist sitzt zum zweiten Mal auf der Zeugenbank – hat aber wenig mehr als bei seiner ersten Befragung zu sagen. Ich lerne immerhin: Bei der Polizei gibt es strenge Hierarchien und viele Formulare. Zum Beispiel ein sogenanntes “FEE”. Ein “Formblatt zur Erfassung von Einsatzerfahrungen”. Das kann, muss aber nicht ausgefüllt werden, erklärt der Beamte. Es soll helfen, künftige Einsätze zu verbessern. Auf weitere Detailfragen, die Staatsanwalt und Verteidigern offenbar relevant erscheinen, sagt er: “Ich habe den Eindruck, sie messen diesen Formularen viel zu viel Bedeutung zu.”

Klare Zuständigkeiten?

In der weiteren Zeugenbefragung formt sich in Bezug auf die Arbeitsweise der Polizei vor meinem inneren Auge das Bild einer Fließbandproduktion in der Autoindustrie. Jeder Beteiligte kümmert sich um seinen Bereich – und zwar ausschließlich um seinen Bereich. Niemand hinterfragt mal gelegentlich, ob denn irgendwer hin und wieder nachsieht, dass am Ende tatsächlich das geplante Auto herauskommt und nicht nur ein Haufen hochtechnisierter Schrott.
Er sei an diesem Tag lediglich Ansprechpartner im Führungsstab für die Kräftesammelstelle gewesen, sagt der Zeuge. “Ich ordne nichts an im Führungsstab und habe das auch damals nicht gemacht. Ich kommuniziere laut und dann treffen andere die Anordnungen.”

Videos im Zeitraffer

Der Zeuge wird bald entlassen und wir sehen uns Videos zweier Veranstalterkameras an. Sie zeigen den Rampenbereich – oder doch zumindest Teile davon. Da sie im Zeitraffer laufen, wirken sie surreal: Fast slapstickhaft ziehen Menschen vorbei, tanzen, unterhalten sich, die Körperhaltung eines Fotografen erinnert an Harold Lloyd-Filme. Menschen klettern an den Lichtmasten hoch oder werden die Mauern hochgezogen, das eigentliche tödliche Gedränge jedoch sieht man nicht. Immerhin eins ist für mein laienhaftes Auge recht deutlich zu erkennen: Die für das Sicherheitskonzept relevante Annahme, die Musik-Trucks der Parade würden Menschen weg von der Rampe aufs Gelände ziehen, war definitiv falsch. Die Leute blieben größtenteils kurz hinter der Rampe einfach stehen. Warum auch woanders hingehen, wenn die Parade doch vorbeikommt?

Über den Autor

Geboren 1969 in Bremen, Mensch- und Journalistenwerdung in Rheinland und Ruhrgebiet und seit 2008 für den WDR als Reporterin in Düsseldorf, Duisburg und Umgebung unterwegs. Das Unglück bei der Loveparade habe ich von Anfang an immer wieder journalistisch begleitet, vom Folgetag an viel Zeit im Tunnel verbracht, Eindrücke gesammelt, Menschen befragt, berichtet. Auch über die politischen Folgen, wie die Abwahl des Oberbürgermeisters Sauerland und das juristische Hickhack im Vorfeld dieses Prozesses.

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