Tag 85: Das Funkgerät eines Polizisten

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Tag 85: Das Funkgerät eines Polizisten

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Der nächste Zeuge aus den Reihen der Polizei tritt auf. Der 54-Jährige war Verbindungsbeamter der Polizei zum „Crowdmanager“. Dieser sollte für die Veranstalterfirma die Besucherströme regeln. Gemeinsam arbeiteten sie am 24. Juli 2010 in einem Container am Fuß der Zugangsrampe, wo die Katastrophe geschah.

Als Verbindungsbeamter zwischen Polizeiführern und Veranstalter war der Beamte vor allem für die reibungslose Kommunikation zuständig. Doch schon die Kontaktaufnahme zu seinen Chefs gestaltete sich schwierig.

Wachsende Ungeduld

Nach Dienstantritt erreichte er seine Ansprechpartner zunächst nicht per Mobiltelefon. Das Handy-Netz war bei der Großveranstaltung zusammengebrochen. Festnetz gab es nicht. „Ich habe mich auf die Vorrangschaltung verlassen“, sagt der Zeuge. Doch eine solche Priorisierung von Polizei-Telefonaten war gar nicht eingerichtet worden.

Wegen der widrigen Handy-Kommunikation konnte der Verbindungsbeamte erst mit Verzögerung einen Kontakt zwischen den Zuständigen bei der Polizei und dem Crowdmanager organisieren. Der Manager sei im Laufe des Nachmittags immer „ungeduldiger“ geworden, habe über Absperrmaßnahmen sprechen wollen.

Sein (damals noch analoges) Funkgerät habe er nicht benutzt, so der Zeuge. Auf Nachfrage des Gerichts kann der Zeuge das nicht schlüssig erklären. Er habe das Mobiltelefon für den besten Weg der Kommunikation gehalten. Sein Funkgerät habe er dabei gehabt – es sei in seinem Rucksack gewesen – zusammen mit Reizgas und Wintermütze.

Nach der Loveparade hatte das Funkgerät für Spekulationen in den Medien gesorgt. Hatte er überhaupt kein Funkgerät? Vorgesetzte hätten ihn deshalb eigens im Ägypten-Urlaub angerufen. Per Fax habe er schriftlich bestätigt, dass er ein Gerät dabei hatte.

„Ich habe noch nie in so ein entsetztes Gesicht gesehen“

Zurück zum Unglückstag: „Es war irgendwann so voll, dass ich über ein Meer von Köpfen geschaut habe“, berichtet der Polizist. Man habe erschöpfte junge Mädchen über den Zaun gehoben, um sie am Container in Sicherheit zu bringen und ihnen Wasser gegeben.

Von der Polizeikette auf der Rampe will der Zeuge „nichts mitbekommen“ haben. Eindrücklich schildert er die Minuten der Massenpanik gegen 17 Uhr. „Und dann wird’s heftig“, sagt er. 15 Minuten lang liefen demnach „mehrere Wellenbewegungen“ der panischen Masse gegen den Zaun vorm Container.

„Es waren heftige Wogen, so dass wir den Zaun kaum noch halten konnten“, sagt der Zeuge. Dann habe ihm ein Loveparade-Besucher zugerufen, dass jemand im Gedränge gestorben sei. Das habe er dem Crowdmanager gesagt: „Ich habe noch nie in so ein entsetztes Gesicht gesehen“, beschreibt er die Reaktion des Gegenübers. Später habe er noch geholfen, die am Boden liegenden Todesopfer mit Planen zu bedecken, sagt er mit belegter Stimme.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

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