Tag fünf: „Wer hier Gerechtigkeit erwartet, wird enttäuscht.“

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Tag fünf: „Wer hier Gerechtigkeit erwartet, wird enttäuscht.“

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Auch der fünfte Prozesstag beginnt wie ein Fußballspiel. Wenn eine Mannschaft mauert und trödelt, um den Spielstand über die Zeit zu retten. Auch die Verteidiger der zehn Angeklagten im Loveparade-Prozess versuchen das: Den Ball immer wieder ins Aus spielen, Fehlentscheidungen beklagen. Das bringt Zeit. Nur geht es hier um mehr als drei Punkte. Im Loveparade-Prozess geht es um die Frage, warum 21 Menschen sterben mussten – und mehr als 650 verletzt wurden.

Es ist ein Psycho-Spiel. An der Oberfläche bleibt der Ton immer sachlich, aber man merkt deutlich: Die Verteidiger führen einen verbissenen Kampf. Sie schöpfen jede in Paragraphen gegossene Möglichkeit aus, das Verfahren zu bremsen. Im echten Leben würde man ihnen „Korinthenkackerei“ vorwerfen. Aber so läuft das Spiel.

Auch wenn die am Vortag angekündigte Besetzungsrüge heute nicht verlesen wird: Die Verteidiger schaffen es mit juristischen Kniffen schnell, das Gericht zu einer kurzen Pause zu zwingen. Der fünfte Verhandlungstag ist noch keine 15 Minuten alt, da muss sich die Kammer erstmals zur Beratung zurückziehen. Verhandlung, Beratungspause, Verhandlung, Beratungspause. Und das im Zehn-Minuten-Takt. Ein Journalistenkollege schnauft. Der Kaffee in der Kantine kostet immerhin zwei Euro.

Eröffnungsstatements: Endlich geht es um die Sache

Und plötzlich – niemand hatte damit gerechnet – geht es doch los: In ihren Eröffnungsstatements legen die Verteidiger dar, warum sie ihre Mandanten für unschuldig halten. Argumente haben sie zu Genüge gesammelt. Im Wesentlichen geht es darum, dass die Falschen auf der Anklagebank sitzen – nicht die Verantwortlichen bei der Polizei, nicht die politischen Entscheidungsträger, die die Loveparade im Kulturhauptstadtjahr 2010 unbedingt nach Duisburg holen wollten, sondern „nur die Sündenböcke“, wie es ein Verteidiger formuliert. Es handele sich um eine „schlechte Anklage, die vieles ausblendet und sich einiges zurechtbiegt“.

Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg

Die Staatsanwaltschaft habe mit dem britischen Panikforscher Still einen falschen Gutachter beauftragt. Mehrmals fällt das Wort „Skandal“. Alle sind sich einig: Man muss die Katastrophe aufklären, auch den Opfern und Hinterbliebenen zuliebe. Ein Verteidiger prophezeit allerdings: „Wer hier Gerechtigkeit erwartet, wird enttäuscht.“

Fesselnde Reden, zufriedener Richter

Dieser Verteidiger fällt besonders durch seine rhetorischen Fähigkeiten auf. Mal redet er schnell, mal langsamer. Mal hebt er die Stimme, mal senkt er sie. Dann baut er kurze Denkpausen ein, stellt rhetorische Fragen. Das fesselt. Ein anderer Verteidiger baut auf Ruhe. Fast wie ein Pastor in einer Predigt setzt er seine Stimme ein. Einige wollten sich im Zusammenhang mit der Katastrophe profilieren, sagt er. Und er hoffe, dass der Prozess den Angeklagten, Hinterbliebenen und Opfern die Würde zurückgibt, die sie verdienen.

Am Ende des Tages ist der Loveparade-Prozess mitten in der Sache. Das Taktieren scheint vorerst vorbei. Das registriert auch der Vorsitzende Richter Mario Plein. Er freue sich über den Konsens, die Katastrophe aufklären zu wollen, sagt er gegen Ende. Und ergänzt:  „Es ist in der Tat nicht alles so einfach, wie man vordergründig denkt.“ Der Prozesstag am kommenden Dienstag fällt aus, wegen Stellungnahmen. Dafür geht’s am Mittwoch und Donnerstag weiter. Und dann könnten sogar schon die ersten Zeugenvernehmungen stattfinden.

Über den Autor

Geboren 1985 in Rees am Niederrhein. Studium in Bochum (Germanistik und Geschichte). Seit 2012 als Journalist in Duisburg. Onliner bei der WDR Lokalzeit aus Duisburg sowie Radiomacher (u.a. WDR5 und Deutschlandfunk Nova).

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