Tag neun: Ein Tag, der schwer auszuhalten ist

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Tag neun: Ein Tag, der schwer auszuhalten ist

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„Die ersten 5 Jahre habe ich jeden Abend auf dem Laptop die Youtube-Videos von der Loveparade geguckt, um das verstehen zu können“, sagt die erste Zeugin leise, als Richter Plein fragt, ob sie in Psychotherapie war oder ist. Überhaupt spricht die junge Frau sehr leise, stockend, ist kaum zu verstehen, bricht immer wieder in Tränen aus. Ihre Aussage weist Widersprüche und Lücken auf, auf die sich die Anwälte der Verteidigung stürzen.

Demontage einer Zeugin

Kleinigkeiten auf den ersten Blick, die aber augenscheinlich die Glaubwürdigkeit der Zeugin insgesamt in Frage stellen sollen. Sie verstrickt sich immer mehr in Widersprüche, Details ihrer Schilderung passen nicht mit früheren, schriftlichen Aussagen zusammen. Es ist quälend, dem zuzusehen, zumal die 31-Jährige von ihrem Beistand weitgehend im Stich gelassen wird. Schließlich schlägt die Verteidigung vor, ihre Vernehmung für heute zu beenden.

Beklemmende Schilderung

Bei der Demontage der Zeugin zugegen zu sein, ist quälend. Aber nicht so quälend wie der Nachmittag. „Ich wurde über die anderen Körper rausgezogen und da habe ich auch das Mädchen mit offenen Augen und blauen Lippen gesehen, die wir nicht geschafft haben rauszuziehen.“ Ganz klar strukturiert erzählt der 27-Jährige aus Osnabrück wie er mit sechs Freunden nach Duisburg fuhr, zum Festivalgelände ging, im Tunnel die Orientierung verlor und sich schon kurz vor dem rettenden Ausgang wähnte, als die Gruppe zwischen anderen Menschen auf der Rampe eingekeilt wurde. Das spanische Mädchen über die Menge raus zu heben sei nicht gelungen, weil es zu eng war, um auch nur einen Arm zu heben. Schließlich habe er bemerkt, dass er nicht mehr auf Boden, sondern auf Menschen trete.

Der Tunnel – © Martin Gerten/dpa

Eike atmet nicht mehr

Es fällt dem Mechatroniker trotz aller Klarheit sichtlich schwer, über die Ereignisse des 24. Juli 2010 zu sprechen. Er ringt um Fassung, fängt an zu weinen, bevor er erzählt, wie auch er fiel und die Hand auf dem Brustkorb eines seiner Freunde hatte. „Irgendwann merkte ich, dass er nicht mehr atmete“, sagt er. Gewissheit gab es erst viel später. Nachdem er und die anderen Freunde aus der Menge herausgezogen, von den Eltern abgeholt und in Osnabrück in der Notaufnahme untersucht worden waren: „Auf dem Weg vom Krankenhaus nach Hause hat mein Handy geklingelt, ich weiß noch, das war in der Bremer Strasse in Höhe der Sparkasse, und da wurde mir mitgeteilt von den anderen, die im anderen Auto saßen, dass Eike tot ist.“ Ich bin Richter und Anwälten fast dankbar, dass sie im Anschluss technische Detailfragen stellen. Denn das lenkt nicht nur den Zeugen etwas vom schrecklichen Gesamtbild ab.

Über den Autor

Geboren 1969 in Bremen, Mensch- und Journalistenwerdung in Rheinland und Ruhrgebiet und seit 2008 für den WDR als Reporterin in Düsseldorf, Duisburg und Umgebung unterwegs. Das Unglück bei der Loveparade habe ich von Anfang an immer wieder journalistisch begleitet, vom Folgetag an viel Zeit im Tunnel verbracht, Eindrücke gesammelt, Menschen befragt, berichtet. Auch über die politischen Folgen, wie die Abwahl des Oberbürgermeisters Sauerland und das juristische Hickhack im Vorfeld dieses Prozesses.

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