Tag zwölf: Verblasste Erinnerungen

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Tag zwölf: Verblasste Erinnerungen

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Der zwölfte Verhandlungstag endet mit der weiteren Vernehmung der australischen Zeugin, die bereits am Vortag ausgesagt hatte. Wieder geht es um kleinste Details auf dem Weg vom Duisburger Hauptbahnhof zum Veranstaltungsgelände. Wie viel auf dem Weg losgewesen sei, ob sie Polizisten mit Funkgeräten gesehen habe, ob ihr im Tunnel Zäune aufgefallen seien.

Zeitsprung: Zu Beginn des Tages sagt ein heute 29-jähriger Zeuge aus Osnabrück aus. Er schildert Anreise, Massenpanik und die Zeit danach sehr sachlich: „Das Gefühl, dass das nicht gut organisiert war, hatten wir von Anfang an“, sagt er. Allerdings scheint er den Prozess nicht für eine große Abrechnung nutzen zu wollen.

40-50 Minuten, schätzt er, habe er unter extremen Schmerzen in einem Menschenhaufen gelegen: „Wir lagen komplett verkeilt, hatten enormen Druck auf dem Körper.“ Er schildert die Wellenbewegungen der Masse, die ihn zum Stürzen brachten: „Eigene Entscheidungen waren nicht mehr möglich.“

Widersprüche zu früheren Aussagen

„Hatte es eine Auswirkung auf die Masse, als ein Polizeiauto durch den Tunnel gefahren ist“, will der Richter wissen. „Man wurde halt einmal zusamengedrängt, ganz ordentlich“, so der Zeuge. Als der Wagen durch war, sei das wieder vorbei gewesen.

Einige Angaben stehen offenbar im Widerspruch zu seiner Zeugenaussage im Jahr 2011. Richter, Verteidigung und Staatsanwaltschaft fragen nach Details: Wieviele Polizisten er bei der Zugangskontrolle gesehen habe. In welchem Tunnel er wie lange warten musste. Ob er erkennen konnte, warum es nicht weitergeht. Vieles weiß er nicht mehr. „Das ist wie gesagt schon Jahre her“, antwortet der Zeuge. Und das glaubt man ihm.

Verblasste Erinnerungen

Die zweite Zeugin des Tages kommt aus Papenburg. Auch sie habe auf dem Weg zum Gelände eine Polizeikette im Tunnel beobachtet. Es folgte das Gedränge: „Ab dann kann ich’s nicht weitererzählen, weil ich bewusstlos wurde.“

Die Zeugin antwortet selbstbewusst auf Nachfragen. Auf einem Stadtplan soll sie zeigen, wo sie aus dem Taxi gestiegen ist. Das allerdings ist ihr kaum möglich, wohl weil sie nicht ortskundig ist und weil das Erlebte fast acht Jahre zurückliegt. Auch sie macht heute teils andere Angaben, als bei einer Zeugenaussage im November 2010.

Viele Details in den Köpfen der Zeugen scheinen verblasst. Und damit offenbart der zwölfte Verhandlungstag ein großes Problem in den Befragungen zum Loveparade-Unglück: Die fortgeschrittene Zeit.

Über den Autor

Geboren 1985 in Rees am Niederrhein. Studium in Bochum (Germanistik und Geschichte). Seit 2012 als Journalist in Duisburg. Onliner bei der WDR Lokalzeit aus Duisburg sowie Radiomacher (u.a. WDR5 und Deutschlandfunk Nova).

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