Schnell, witzig und sehr persönlich – „Tierchen unlimited“ war eines der interessantesten deutschsprachigen Debüts des letzten Jahres. Jetzt legt Berufsschullehrer Tijan Sila, der 1983 in Sarajewo zur Welt kam und seit 1994 in Deutschland lebt, mit „Die Fahne der Wünsche“ (Kiepenheuer & Witsch, 22 Euro) einen zweiten Roman vor, der es nicht bloß genau so in sich hat, sondern fast noch besser ist: Die Geschichte eines Jungen, der Radrennfahrer werden will, dabei allerdings auf allerlei Hindernisse stößt, insbesondere deshalb, weil er eine große Leidenschaft fürs – verbotene – Flippern hat. Verboten deshalb, weil es die Moral der Jugend zersetzt; der Roman ist in einem fiktiven Land namens Crocutanien angesiedelt, Typus Ostblock vor der Wendezeit. „Die Fahne der Wünsche“ ist eine tragikomische Coming of Age-Geschichte, mit Biss und hintergründigem Humor. Das zweite Werk eines kommenden Schriftstellers ist ja oftmals „schwierig“, in diesem Fall: Kein Problem, im Gegenteil, ein großes Vergnügen.
Beste Unterhaltung mit Witz und Pfiff und sehr viel Situationskomik bietet auch die Lektüre des Romans „Alle Guten waren tot“ (Rowohlt, 20 Euro) von Gerasimos Bekas, geboren 1987, aufgewachsen in Griechenland und Bayern, heute Dramatiker, der in Berlin und Athen lebt. Aris, sein Held, der wohl um die Mitte 20 ist, wurde zwar in Griechenland geboren, wuchs aber bei deutschen Pflegeeltern auf. Er arbeitet in Frankfurt in einem Altenheim, wo er auf die trotz aller Pflegedürftigkeit höchst präsente Frau Xenaki trifft, die ihn mit einem Auftrag nach Athen schickt, der für Aris zur Identitätssuche zwischen Griechenland und Deutschland wird – mit Urgründen dieser, seiner Geschichte, die weit länger zurückreichen als Aris eigene Erdenzeit, in den 1940er Jahre nämlich, die Zeit der deutschen Besatzung Griechenlands also. Spannendes Debüt; eine Identitätssuche, die alles andere als gemütlich ist, eher eine Achterbahnfahrt, mit vielen Wendungen, Kurven und Loopings, die nicht bloß den Helden, sondern auch seine mitreisenden LeserInnen kräftig durchschütteln.
Und noch ein interessantes Debüt „mit Migrationshintergrund“ – der Roman „Ich lüge nicht mehr“ (Glaré Verlag, 19,80 Euro) von Negar A. Zadeh, die im Iran und in England aufwuchs, seit dem Jahr 2000 aber in Deutschland lebt. Sie erzählt die Geschichte von Nika, 34, Ärztin – einer Frau ebenfalls mit persischen Wurzeln, der es nicht gut geht, in ihrer merkwürdigen Ehe, mit ihrer sie bevormundenden Mutter, mit dem heimlichen Geliebten. Überhaupt, sie fühlt sich gefangen, eine Marionette im eigenen Leben, in dem alle möglichen Kräfte die Fäden ziehen, bloß nicht sie selbst, so scheint es ihr zumindest. „Ich lüge nicht mehr“ ist ein psychologisches Portrait, das sehr ins Detail und auch in die Tiefe geht, mit Blick vor allem auf die kulturell und migrationsbedingt vorhandenen Abhängigkeiten und Unfreiheiten. Joa, denkt man, ist zwar genau und fein gestrickt, aber alles nichts Neues, hat man so oder ähnlich schon anderweitig gelesen, na ja. Dann aber lässt die Autorin ihre Geschichte in einer so extrem pointierten Schlusswendung enden, dass es kracht – und man die Geschichte möglicherweise in einem ganz anderen Licht betrachtet. Nicht schlecht; ein Sprengsatz, der zwar lange braucht, bis er zündet, es letztlich dann aber ganz schön dicke rrrumsen lässt.