Aber oho! – Schmale Bücher mit Substanz

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Aber oho! – Schmale Bücher mit Substanz

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Dass in der Kürze die Würze liegt, ist auf dem Buchmarkt derzeit ein mehr oder minder vergessenes Prinzip; fette Schwarten sind, so scheint´s, das Maß der Dinge. Aber es gibt sie noch, die schmalen Bücher; auch die, die auf knappstem Raum mehr Substanz aufweisen als manch einer von den dicksten Brocken auf Hunderten eng bedruckter Seiten. Ein Hoch! also, nebenbei bemerkt, auf die Verlage, die sich drauf einlassen, so etwas zu drucken, mit Risiko, wohl wissend, dass Reduktion aufs Wesentliche selten goutiert wird auf einem Markt, dessen Kunden – das glauben zumindest die Marketingstrategen, insbesondere bei den Buchhandelsketten – “mehr Buch fürs Geld” fordern …

„In Schwarze“ zum Beispiel, der neue Roman von Vincent Almendros (Wagenbach, 115 Seiten, Euro 16, übersetzt von Till Bardoux), ein hübsch böses Stilleben um einen Mann, der nach Jahren in sein Heimatdorf zurückkehrt, weil die Cousine heiratet. Nichts ist, wie es scheint; allerorten fiese Geheimnisse, insbesondere auch beim Erzähler, der seine LeserInnen (nicht nur) diesbezüglich schmoren lässt bis zuletzt. Der Verlag verkauft die Geschichte als „Sommerkrimi“, worüber man in vielfacher Hinsicht diskutieren kann, sei´s drum. Vincent Almendros, der im Hauptberuf in Paris als Lehrer arbeitet, ein zeitgenössischer Vertreter des Nouveau Roman, hat die Konzentration des Textes zum Prinzip gemacht – er kürzt und kürzt und kürzt, so lange, bis nurmehr die Essenz bleibt. Und was da bleibt, ist ein Kleinod mit Nachhall, das in vielfacher Hinsicht klipp und klar ins Schwarze trifft.

Der Spanier Vicente Valero ist, wenn man so will, ein Inselchronist, er stammt aus Ibiza und lebt auch noch dort; seine Texte kreisen immer wieder auch um die Insel und ihre Gesellschaft. In „Übergänge“ (Berenberg, 86 Seiten, Euro 22, übersetzt von Peter Kultzen) begleiten wir ihn und seinen Erzähler zu einer Beerdigung; ein alter Freund ist gestorben, mit Mitte 30, vermutlich eine Überdosis. Der Überlebende beschreibt nun den Gottesdienst, die Trauerrituale, das Danach in der Kneipe; zugleich nutzt er die Gelegenheit zur Erinnerung: an die gemeinsame Jugend, an die Lebenswege von Freunden und Bekannten, auch an die Vergangenheit der Insel – sowie zugleich auch an die Geschichte Spaniens, wie sie sich auf Ibiza spiegelt. Viel Stoff auf wenig Raum, ein Insel-Roman in mehrfacher Hinsicht, gewissermaßen; zugleich ein melancholischer Blick auf die Vergänglichkeit des Lebens (und der Beziehungen, die dieses Leben zu bieten hat); ein Blick, der zugleich, am Schluss, als Andeutung, mit einem Hauch schwarzen Humors das Leben feiert. Ein wunderbares Buch, nicht bloß für Ibiza-Inselfans.

Der Tod spielt auch in Julia Cohens „Ich wurde nicht geboren“ (Literaturverlag Droschl, 121 Seiten, Euro 19, übersetzt von Maria Hummitzsch) eine zentrale Rolle – allerdings nur beinahe: Zwei Mal hat der Freund und Vertraute der Autorin versucht, sich umzubringen, beide Male ist er knapp gescheitert. Beim ersten Mal aus heiterem Himmel, ohne jede Vorwarnung; beim zweiten Mal – trotz allem! Wie geht man damit um, wie kann man das verkraften, diesen Ausschluss, dieses Brüskieren, diesen Vertrauensbruch? Aber auch: diese Sorge, diese Angst, diese Unsicherheit? Und: Wie umgehen mit der Wut? Julia Cohen ist Lyrikerin und Professorin für kreatives Schreiben in Chicago; ihr Buch ist der Versuch, Antworten zu finden – und wo das nicht möglich ist: wenigstens auch die Fragen anklingen zu lassen, die man sich, weiterhin mit, neben dem Suizidkandidaten lebend, kaum zu stellen vermag. Die Brüchigkeit einer solchen Existenz spiegelt sich in der Textform bzw. den Testformen: Gedichte, Assoziationen, Gedanken, Eindrücke, Therapieberichte – ergeben letztlich eben: kein Ganzes (mehr). Beeindruckend.

Das gilt sowieso für Édouard Louis und seine autobiographisch inspirierte Milieustudie samt Gesellschaftserkundung „Wer hat meinen Vater umgebracht“ (ohne Fragezeichen – S. Fischer, 77 Seiten, Euro 16, übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel): Louis, geboren 1992, der Jungstar der französischen Literaturszene, spürt dem Leben und Scheitern seines Vaters nach und parallel ihrer beider Beziehung, die angesichts der Lebensumstände im Prinzip fast von Beginn an ebensowenig Perpektive hatte. Lebensumstände, das heißt: Armut, arbeiten, arbeitslos sein; das, was man “einfache Verhältnisse” nennt, vielleicht auch: Modernisierungsverlierer; verbunden mit „klassischen“ Männlichkeitsvorstellungen, die teils konträr zur eigenen Persönlichkeit stehen. All das erfasst Édouard Louis in einer Mischung aus Erinnerungen, Reflexionen, soziologischen Methoden, die konzentriert aufs Wesentliche zielen – und zugleich doch auch auf´s große Ganze, sozusagen ins Herz der Zeit.

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