Aktuelle Kriminalliteratur (von der neuen Krimibestenliste)

https://blog.wdr.de/nollerliest/aktuelle-kriminalliteratur-von-der-neuen-krimibestenliste/

Aktuelle Kriminalliteratur (von der neuen Krimibestenliste)

Kommentare zum Artikel: 0

Ganz oben auf der neuen KrimiBestenliste ist Zoë Beck mit ihrem tollen neuen Roman “Paradise City” (Suhrkamp, Euro 16,–) gelandet, hier gibt´s schon eine ausführlichere Besprechung dieses Romans. * Zoë Beck ist die prima inter pares, auf den Plätzen bis weit hinter´s Treppchen finden sich jede Menge weitere sehr gute Genreromane, die das Podest im Prinzip nicht minder verdient hätten. Zum Beispiel “Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit” von Max Annas (Rowohlt, Euro 22,–). Mit seiner MUK-Reihe entführt Max Annas in die DDR der 1980er Jahre, hier im zweiten Teil insbesondere in die Musik- und Punkszene. Ihm geht es darum, sagt Max, Themen aufzugreifen, die von der offiziellen Geschichtsschreibung vernachlässigt werden; als “Krimi” gekleidet präsentiert er diese Themen dann neu. Und wie: “Der Fall Nikoleit” ist wieder ein schlanker, karger und nüchterner Polizeiroman, der dies Subgenre aufs Essentielle konzentriert, sehr gelungen das, und auf eine ganz eigene Weise: spannend. Nebenbei: Der erste MUK-Roman ist gerade als Taschenbuch erschienen (rororo, Euro 11,–) – “Der Fall Teo Mocamo” fußt auf dem wahren Fall eines DDR-Vertragsarbeiters aus Mosambik, der mutmaßlich von Neonazis getötet wurde, auch eine krasse Geschichte, die Max Annas sehr gekonnt als Polizeiroman verpackt hat, unbedingt lesenswert. * “American Spy” von Lauren Wilkinson (Tropen Verlag, Euro 16,–) ist ein ganz und gar ungewöhnlicher Debütroman: Spionageliteratur von Frauen ist sowieso eher selten, von einer Afroamerikanerin allerdings erst recht. Und genau darum geht es auch in diesem Roman, der ebenfalls eine zeitgeschichtliche Erkundung anstellt: Die Rolle afroamerikanischer AgentInnen, die sowohl bei der Unterwanderung von US-Bürgerrechtsbewegungen eingesetzt wurden wie auch bei Geheimdienstaktionen in afrikanischen Ländern, in diesem Fall: in Burkina Faso. Ein Story, bei der jede Menge Identitätsfragen – plus daraus folgende Dilemmata – klug und anschaulich verhandelt werden, angesiedelt von den 1960er Jahren bis in die 1990er hinein, hoch aktuell aber natürlich auch heute wieder angesichts der strukturellen Rassismen, die während Trumps Präsidentschaft wieder viel klarer sichtbar wurden: Was bedeutet es für jemanden mit schwarzer Hautfarbe, solch ein partiell rassistisches (und: imperialistisches) System vertreten und beschützen zu müssen? Abgesehen davon erzählt “American Spy” auch ganz einfach eine schlau konstruierte, klar konturierte, hoch interessante tricky-Spionagegeschichte. * Für alle, die sich auch ohne Corona niemals einen Karibik-Urlaub leisten können werden, könnte “One-Way-Ticket ins Paradies” vom Schweizer Joseph Incardona (Lenos Verlag, Euro 22,–) ein guter Tipp sein: Für eine neureiche Bankiers-Besserverdienenden-Familie wird so ein Karibik-Trip ins abgelegene x-Sterne-Luxusresort zum XXL-Horrortrip, das ist die im Grunde ganz simple Geschichte. Interessant ist, wie sie angelegt, erzählt und schließlich auch abgeschlossen wird: Als Abgesang auf den neoliberalen Luxus-Wahn, der letztlich an sich selbst ersticken muss, weil er “die Welt” in seinem unendlichen Streben nach Mehr aus den Augen verliert. Zuzuschauen, wie Joseph Incardona das erzählt, macht größten Spaß, insbesondere auf Balkonien oder am heimischen Baggerloch: Eine kleine, böse, tiefschwarze Geschichte, die alles in Frage stellt, ein abgründiger Noir reinsten Wassers.

Einen Kommentar schicken

Die mit * gekennzeichneten Felder müssen ausgefüllt werden.

Top