Auf der Höhe der Zeit – zum Deutschen Krimi Preis 2022

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Auf der Höhe der Zeit – zum Deutschen Krimi Preis 2022

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„Mehr als (nur) ein Krimi.“ Ein Satz, der immer wieder mal zu lesen ist, wenn Bücher besprochen werden – und ein Satz, der Krimileser:innen, die auf der Höhe der Zeit sind, sich die Haare raufen lässt. Nicht bloß, weil er belegt, dass der arme Mensch, der ihn geschrieben hat, immer noch diese Steinzeit-Unterscheidung Unterhaltungs- versus „richtige“ Literatur setzt (was auch immer das sein mag). Sondern auch, weil diese Setzung komplett ausblendet, dass zeitgenössische Genreliteratur, die was auf sich hält, seit vielen Jahren mit hoch literarischen Mitteln operiert. Jeder gute Krimi ist mehr als (nur) ein Krimi, wenn man so will. Aber ein „guter Krimi“ muss er natürlich schon auch sein, klar. Insofern sogar: Mehr als (nur) Literatur, wenn man es etwas überspitzt ausdrücken möchte.

Die sechs Preisträger:innen beim Deutschen Krimi Preis 2022 zeugen davon auf so eindrucksvolle wie diverse Weise: Sechs Romane, die mit sprachlichen und dramaturgischen Mitteln ganz neue und ganz eigene Wege gehen – und dabei jeweils für sich einen ganz eigenen Ansatz etablieren, die Realität, von der sie erzählen, mit den Mitteln ihrer Kunst zu spiegeln und zu kommentieren. Dabei wird eine immense Themenvielfalt transportiert, die in den verschiedensten Weltgegenden verortet ist, die aber doch immer auch als Beitrag zu einem universellen Diskurs gelesen werden kann, und zwar mit Gewinn, mit einem Aha-Erlebnis. Das ist bei den sechs Preisträger:innen ausnahmslos der Fall. Deshalb wüsste ich nicht, welchen dieser Romane ich zur Lektüre empfehlen könnte, wenn es nur „der eine“ sein dürfte. Ne, sorry, ich empfehle alle Sechs.

Wer den Deutschen Krimi Preis gewinnt, das ist ja im Prinzip eine mehr oder minder anarchische Entscheidung: Knapp 30 Krimikenner:innen stimmen in geheimer Wahl ab, ohne sich vorher in irgendeiner Weise verständigt zu haben. (Insofern habe ich selbst als einzelnes Jurymitglied auch nur sehr begrenzten Einfluss.) Das Ergebnis ist eine große Wundertüte, und es ist vor der Auszählung völlig unklar, welche erwartbaren Resultate es enthält – und welche Überraschungen. Niemand hätte zum Beispiel wohl drauf gewettet, dass es gleich zwei Romane aus der Karibik in die Top Drei „international“ schaffen. Dafür blieben zwei sehr starke schwedische Romane (und andere) außen vor, die es sicher auch verdient gehabt hätten, auf dem Treppchen zu landen. Alles in allem hat die Genre-Schwarmintelligenz in meinen Augen diesmal jedenfalls treffend entschieden: Sechs Beispiele für Genre/Literatur voll auf der Höhe der Zeit.

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