Beste Freunde, beste Feinde

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Beste Freunde, beste Feinde

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Geschwisterverhältnisse haben eine ganz besondere Dynamik, das weiß jeder, der welche hat. Der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier hat einen wunderbaren Roman zu diesem Thema veröffentlicht: „Bruder und Schwester Lenobel“.

Einer der vielen listigen Kniffs an Köhlmeiers Geschichte: Eines der Geschwister ist über weite Teile der Handlung gar nicht anwesend – trotzdem aber überaus präsent. Gemeint ist Robert Lenobel, Psychiater aus Wien, der eines Tages einfach aus seinem Leben verschwunden ist. Weshalb Hanna, seine Frau, Schwester Jetti anruft, die umgehend aus Dublin, wo sie lebt, anreist nach Wien.

So richtig grün sind die beiden Frauen sich nicht, das wird schnell klar. So beginnt die Geschichte – und so beginnt die, sagen wir, Anamnese zur Analyse eines Geschwisterverhältnisses wie auch die einiger anderer Verhältnisse drumherum. Insbesondere den Schriftsteller Sebastian betreffend, Roberts besten Freund, zu dem auch die beiden Frauen, nun ja, ganz spezielle Beziehungen haben …

Nach und nach wird dieses Beziehungsgeflecht entblättert, sehr schlau und unterhaltsam arrangiert. Zugleich macht Michael Köhlmeier auch die jüdische Familiengeschichte der Lenobels scheibchenweise sichtbar und damit die Prägungen, die möglicherweise das eine oder auch das andere Verhalten (und auch Roberts Verschwinden) erklären. Ein Familienroman also, zugleich ein Generationenportrait der um die 50jährigen Nachkriegs“kinder“, zudem auch eines der österreichischen Gesellschaft.

Michael Köhlmeier, geboren 1949, ist einer der besten deutschsprachigen Schriftsteller dieser langsam alt werdenden Nachkriegsgeneration, das belegt sein Roman „Bruder und Schwester Lenobel“ vorzüglich. Ein Roman, der sprachlich wie formal auf der Höhe der Kunst agiert – und mit Hilfe der Mittel dieser Kunst einen ungeheuren Sog entwickelt, die einen unerbittlich hineinzieht in diese letztlich eigentlich eher unspektakuläre Geschichte.

Michael Köhlmeier ist bekannt als Erzähler – und zwar im doppelten Sinn: Einerseits publiziert er seit den 1980er Jahren als Schriftsteller in den verschiedensten Formen. Zugleich war er in den letzten Jahren aber auch als Erzähler im Wortsinn extrem erfolgreich – als einer, der antike Mythen und Sagen, Dramen, die Geschichten der Bibel in eigenen Worten nacherzählt, im Radio und im Fernsehen.

Das spürt man nun auch diesem Roman deutlich an; wie ebenfalls auch die Faszination, die Märchen auf Köhlmeier ausüben. Passt ja auch bestens – denn Geschwistergeschichten spielen in all diesen Überlieferungen eine zentrale Rolle, von jeher. Insofern wächst, was den doppelten Erzähler Michael Köhlmeier angeht, in „Bruder und Schwester Lenobel“ zusammen, was zusammengehört.

Robert Köhlmeier: Bruder und Schwester Lenobel. Hanser Verlag, 2018. Euro 26,–

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