Ein großes Aha! gab´s die Tage wegen der Besetzung der Schauspielerin Florence Kasumba als erste afrodeutsche Ermittlerin beim „Tatort“. Der Film war so, na ja, mittel; trotzdem natürlich eine tolle Sache, mit Signalwirkung. Wobei man sagen muss, dass der „Polizeiruf 110“ in der Hinsicht nicht bloß ein wenig schneller war, von 1998 bis 2003 ermittelte da eine Frau namens Carol Reeding, dargestellt zunächst von Chantal de Freitas, später Dennenesch Zoudé. Und sowieso ganz vorne: „Der Alte“, mit Charles Muhamed Huber, der von 1986 bis 1997 als schwarzer deutscher Kripokommissar Henry Johnson unterwegs war. In der Kriminalliteratur sind schwarze Ermittler in letzter Zeit auch (wieder) ein dickes Thema auf dem deutschen Buchmarkt.
“Bluebird, Bluebird” von Attica Locke
Allen voran die US-Amerikanerin Attica Locke, geboren 1974, deren Roman „Bluebird, Bluebird“ (Polar Verlag, Euro 20, übersetzt von Susanna Mende) vor ein paar Tagen von Null auf Eins in der Krimibestenliste schoss; eine extrem packende Story, die das Muster des Country Noir schlau nutzt, um vom alltäglichen Rassismus (nicht nur) in Trump-Zeiten zu erzählen; eine tolle Entdeckung, diese Schriftstellerin, deren Held Darren Mathews trotz Jura-Studium in Princeton nicht Anwalt wird, sondern Texas Ranger, in “Bluebird, Blueburd” ermittelt er in einem Kaff namens Lark, zwei Morde sind dort geschehen, eine weiße Kellnerin wurde getötet und ein schwarzer Anwalt, der eigentlich in Chicago lebte. Einer wie Darren Mathews, der auch noch aus der Gegend stammt, weiß sofort, dass die beiden Verbrechen miteinander zusammenhängen müssen, auch wenn die lokale Polizei das anders sieht – wie sehr die Geschichte nicht bloß aktuell, sondern auch zeitgeschichtlich verankert ist, mithin also auch in die Historie des Rassismus schaut, das kann allerdings auch er nicht ahnen; auf jeden Fall eine klasse Komposition, dieser Kriminalroman – exzellente Genreliteratur.
“Im Namen des Katers” von Gary Victor
Beispiel Nr. 2: „Im Namen des Katers“, der neue Roman des haitianischen Autors Gary Victor (litradukt Verlag, Euro 12, übersetzt von Peter Trier), ein weiteres Abenteuer für seinen völlig derangierten Kommissar Dieuswalwe Azémar, der immer noch radikaler wird angesichts der Korruption in Port au Prince. Wieder ein pechschwarzer Noir, dessen Blick auf die Gesellschaft Haitis einem das Blut in den Adern gefrieren lassen kann; der Rassismus ist hier allerdings bloß ein Nebenthema, wenn überhaupt – in Gary Victors Erzählkosmos sind alle, inklusive des „Helden“, Täter und Opfer zugleich, müssen es sein, und zwar auf eine Weise, dass es kracht. Der Noir als Blick auf ein verdorbenes, verlorenes Land, das sozusagen ein unentwirrbares moralisches Dilemma verkörpert: Man muss böse sein, richtig böse, wenn man die letzte kleine Hoffnung auf das Gute nicht verlieren will – insbesondere natürlich als der Autor, der diesen Blick tut.
“Darktown” von Thomas Mullen
Sehr stark auch der Roman „Dark Town“ von Thomas Mullen (Dumont Verlag, Euro 24, übersetzt von Berni Mayer) in dessen Geschichte der Rassismus gegenüber den Afroamerikanern in den USA das alles bestimmende Epizentrum darstellt: Mullen entführt in die endenden Vierziger Jahre, in Atlanta wurden erstmals Schwarze in die Polizei aufgenommen; acht Männer, Weltkriegsveteranen zumeist, die im Viertel Darktown ihren Streifendienst tun müssen, im Prinzip, ohne tatsächlich irgendwelche exekutiven Rechte zu haben. Plus: Verlacht und verachtet vom Rest der Polizei. Zwei von ihnen spüren dem Mord an einem schwarzen Mädchen nach, gegen alle Widerstände, und die sind lebensbedrohlich; sie ermitteln zusammen mit einem weißen Polizisten, der nicht ganz so korrupt und kaputt ist wie die anderen, die Geschichte führt bis in die höchsten Kreise, natürlich. Ein exzellenter und mächtig beeindruckender, genau recherchierter Roman, der die Praktiken und Konsequenzen des Rassismus in den USA damals exakt inszeniert und ausleuchtet – und in ihrer ganzen Bösartigkeit spürbar macht, heftig.
Der Vollständigkeit halber: Joe Ide und Tom Franklin – und Simone Buchholz sowie Max Annas
Zudem noch zwei sehr gute Romane aus den Vereinigten Staaten mit schwarzen Ermittlern, beide aus dem vergangenen Jahr, hier auf dem Blog schon besprochen: “Stille Feinde” von Joe Ide (Suhrkamp, Euro 14,95, übersetzt von Conny Lösch). Und “Krumme Type, krumme Type” von Tom Franklin (Pulp Master, Euro 14,95, übersetzt von Frank Nowatzki). Eine hervorragende deutsche Variante gibt es auch, nämlich die Romane von Simone Buchholz, zuletzt erschienen “Mexikoring” (Suhrkamp, euro 14,95), Texte dazu finden sich hier und hier. Plus natürlich Max Annas, dessen Romane “Illegal” und “Finsterwalde” (Rowohlt, Euro 19,95 und 22,–) zwar keine klassischen Ermittlerfiguren haben, aber mit raffiniertem Blick auf Schwarze in Deutschland mehr oder minder aus deren Sicht erzählen. Klasse auch seine beiden in Südafrika angesiedelten Geschichten, “Die Farm” (Diaphanes, Euro 16,95) und insbesondere “Die Mauer” (Rowohlt Taschenbuch, Euro 12).
Außerdem: Chester Himes, Walter Mosley, Valery Wilson Wesley und Gar Anthony Haywood
Schwarze Ermittler, das ist ein Thema auf dem deutschen Buchmarkt, wie gesagt – aber kein ganz neues, um die Jahrtausendwende herum erschienen zuletzt einige interessante Sachen aus dem Bereich. DER Klassiker schlechthin, überhaupt einer der Klassiker des Genres, ist Chester Himes, dessen hohe Kunst damals in der metro-Reihe neu entdeckt wurde – die drei Harlem-Romane (Unionsverlag, Euro 12,90) wären ein Tipp für alle, die mehr lesen wollen als nur aktuelle Geschichten. Unbedingt lesenswert auch “Socrates in Watts” (Unionsverlag, Euro 9,–) und andere Romane von Walter Mosley. Nicht minder interessant: Valery Wilson Wesley mit ihrer Heldin Tamara Heyle, acht Fälle erschienen zwischen 1996 und 2009 bei Diogenes; die erste afroamerikanische Schriftstellerin mit Genre-Affinität auf dem deutschen Buchmarkt, zumindest in meinem Lesekosmos. Abgesehen von Nobelpreisträgerin Toni Morrison natürlich. Und: Gar Antony Haywood, dessen knackige Romane „Schwarz, weiß, tot“, „Angeschwärzt“ und „Sie sterben jung“, erschienen in der ersten Hälfte der Neunziger Jahre, man auch noch kaufen kann, allerdings nur antiquarisch, zum Beispiel hier – oder aber in jeder guten Buchhandlung, die auch antiquarische Bücher bestellt.
Aus Nigeria, Südafrika und Gabun: Helon Habila, Mala Nunn und Janis Otsiemi
Gerade als Taschenbuch rausgekommen ist der Roman “Öl auf Wasser” von Helon Habila (Unionsverlag, Euro 12,95), einem Autor aus Nigeria, der mit diesem Roman vor drei, vier Jahren für Furore sorgte – eine Ermittlung im Niger-Delta, in der es letztlich weniger um den Ermittler, einen Journalisten, und seinen Fall geht, als um die ökologische Katastrophe, die Ölfirmen dort anrichten. Auch das ein toller Roman, wichtig und unbedingt lesenswert. Und dann ist da noch Mala Nunn aus Südafrika, mit ihrem Zulu-Ermittler Shabalala durchforstet sie Gegenwart und Geschichte des Landes, zuletzt erschienen: “Tal des Schweigens” (Ariadne Krimi, Euro 13,95), auch das ein Lesetipp für alle, die sich für dieses Thema interessieren. Zuletzt, bis auf weiteres, noch ein Kriminalroman aus Gabun, der mir großen Spaß bereitet hat – “Libreville” von Janis Otsiemi (Polar Verlag, Euro 14,90), angesiedelt eben in Libreville, im Jahr 2008, ein spiel- und erzählfreudiger Polit- und Polizeithriller, der Korruption und Willkür in Politik und Gesellschaft Gabuns sehr treffend aufs Korn nimmt.