Dracula, die alte Klamotte, kann man dem noch etwas Neues, Frisches, Aktuelles abgewinnen? Klar doch, man kann. Also: Dana Grigorcea kann das. In ihrem neuen Roman “Die nicht sterben” (Penguin, Euro 22,–) geht es allerdings erst einmal um eine junge Frau, Malerin und Kunststudentin, die aus Paris nach Rumänien zurückkehrt. Genauer: In einen Ort namens B. in der Walachei, am Fuße der Karpaten gelegen. Es ist die Zeit nach dem Ende des Staatskommunismus, die Tante hat in dem Städtchen ihre Villa zurück erhalten, wie in den guten (?) alten Zeiten versammeln sich nun wieder alle möglichen Freunde und Verwandten zur beschwingten Sommerfrische hier “auf dem Land”. Es ist eigentlich ja kaum etwas vorstellbar, das diese ausgeruhte Geselligkeit trüben könnte – dann allerdings stürzt eine ältere Dame aus dieser Gesellschaft bei einer gemeinschaftlichen Wanderung zu Tode. Nun, so etwas kann ja durchaus einmal passieren, kein Grund zur Erschütterung eigentlich.
Den liefert allerdings ein Blick in die Familiengruft, in der die Dame bestattet werden soll: Dort findet sich nicht bloß ein Toter, ein Mann aus dem Dorf, der auch noch nach Art der Gegend gepfählt wurde – sondern auch das Grab des Mannes, der Vorbild war für diesen Dracula-Mythos, der über Jahrzehnte durch die (Populär-)Kultur zentrifugiert wurde bis zur Unkenntlichkeit: Vlad, der Pfähler, der im 16. Jahrhundert eine Zeit lang ein starker Mann war im südöstlichen Europa. Seine Spezialität: Eben das Pfählen, nach allen Regeln der Kunst, bei möglichst lang lebendigem Leib. Solch einen Vorfahr in der Ahnenkette zu wissen, das ändert natürlich so einiges, nicht nur für die Erzählerin. Und einigen so windigen wie findigen Lokal-Honoratioren blüht die Phantasie angesichts der Möglichkeiten, die sich da auftun, Stichwort: Dracula-Park. Oder ist das alles nur Einbildung, ein Fake, den jemand hübsch angerichtet hat und garniert hat, samt gepfähltem Mitbürger?
Dana Grigorcea, geboren 1979, ist in Bukarest aufgewachsen, nach Stationen in Deutschland, Österreich und Belgien lebt sie heute in der Schweiz. Sehr geschickt und gewitzt, wie sie in ihrem Roman “Die nicht sterben” die historische Ebene mit der aktuellen in Bezug setzt, dabei zugleich auch den Mythos mit der (historischen) Realität ins Spiel bringt – und das Ganze in eine so unterhaltsame wie sprachgewandte Geschichte zaubert. Eine Geschichte, die man auch als Mahnung und Warnung verstehen darf, wie Dana Grigorcea sagt: Vorsicht mit der (nicht nur in Rumänien) grassierenden Sehnsucht nach “dem starken Mann”. Ein starker Roman jedenfalls, der das Narrativ der politischen orientierten Schauergeschichte auf seine Weise auffrischt und aktualisiert. Ganz abgesehen von seiner sprachlichen Klasse: Dana Grigorcea schreibt seit 2003 auf Deutsch, mit sprudelnder Lust am Erzählen, wie sie die Sprache zum Perlen und Glänzen bringt, das allein ist schon ein großes Vergnügen.