Der erste echte Lockdown-Roman: “Das Baby ist meins” von Oyinkan Braithwaite

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Der erste echte Lockdown-Roman: “Das Baby ist meins” von Oyinkan Braithwaite

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„Und, dürfen wir dann demnächst eine spannende Corona-Geschichte erwarten?“ Eine beliebte 2020-Frage an Literatur-, Film- und Fernsehschaffende. Meist im Anschluss an eine Erkundigung, wie es denn so gehe in den nervigen Lockdown-Zeiten. Die Antwort war meist eher verhalten: „Grundsätzlich schon denkbar, klar. Aber jetzt, wo wir mitten drin stecken? Geht gar nicht. Irgendwann – vielleicht …“

Stimmt nicht, möchte man nach der Lektüre der nigerianischen Schriftstellerin Oyinkan Braithwaite hinzufügen. Denn das geht sehr wohl. Sogar ganz hervorragend. „Das Baby ist meins“ ist der erste Corona-Lockdwon Roman in dem Sinne, dass die Pandemie-Lebenssituation nicht bloß tagebuchartig oder im Sinne einer Chronik reflektiert wird; vielmehr ist sie strukturell und dramaturgisch alles entscheidend.

Der Erzähler ist ein junger Lebemann und Gigolo, der sich durchs Leben in Lagos treiben ließ – bis der erste Lokdown auch in Nigeria dem ein Ende setzte. Bambi, wie der Mann lustigerweise gerufen wird, ist froh, dass er bei einer gut situierten Schönheit mit schicker Wohnung recht komfortabel unterkommen konnte. Dann kommt der Moment, in dem sie sein Smartphone knackt und feststellen muss, der er auch mit anderen Frauen flirtet.

Bambi landet also auf der Straße und sieht bloß eine Möglichkeit: Er muss bei seiner Tante unterkommen, deren Mann kürzlich an Corona verstorben ist. Dort angekommen, erwartet ihn eine dicke Überraschung: Im heruntergekommen Bungalow der Tante befinden sich zwei Frauen und ein Baby. Die Tante, klar, und die ehemalige Liebhaberin des Onkels. Unvorstellbar eigentlich, die beiden in einem Raum vorzufinden.

Die Situation ist allerdings auch noch extra brenzlig, denn die beiden zanken um das Kind. Beide behaupten, das Baby sei ihr´s, Bambi gerät in die Rolle eines Schiedsrichters. Das Problem: Wegen des Lockdowns und überhaupt der Corona-Situation gibt es keine Möglichkeit, belegbar festzustellen, welche der beiden Frauen nun die Wahrheit sagt.

Und weil die Situation immer stärker eskaliert, gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit: Bambi kümmert sich um das Baby, nachts vor allem, und das muss mindestens so lange anhalten, bis die Labore nicht mehr überlastet sind, so dass ein Gentest gemacht werden kann. Davon kann jetzt keine Rede sein, trotz befreundeter Ärzte. Und so wird der Gigolo zum „Vater“ wider Willen, mit allem Drumunddran – Wickeln, Singen, Füttern und, und, und. Eine Sache, an die man sich gewöhnen kann?

So also kann es auch gehen: Während durch Corona und den Lockdown allerorten ein „Retraditionalisierung“ der Geschlechterrollen droht, wie die Soziologin Jutta Allmendinger analysiert, nutzt Oyinkan Braithwaite die Situation, um die Verhältnisse mal eben umzukehren. Zumindest in der Fiktion. Und das ist weit mehr als nur verschmitzt und spielerisch gedacht und gemacht – nämlich als Fingerzeig, den „Mann“ auch als Ansage verstehen kann: So schnell und so einfach könnte es also auch gehen, wenn die Umstände das erfordern, zum Beispiel durch eine Pandemie, die nicht bloß das Leben, sondern auch das Denken herausfordert. Oder, wenn die Frauen es so wollen. Die allerdings in dieser Geschichte ebenfalls ihr Fett wegbekommen – denn was wollen sie eigentlich?

Oyinkan Braithwate, geboren 1988, hat mit ihrem Debütroman „Meine Schwester, die Serienmörderin“, entstanden 2018, im vergangenen Jahr auch hierzulande mächtig für Furore gesorgt: ein Kampfansage ans Patriarchat mit den Mitteln des Genreromans. Mit „Das Baby ist meins“ legt sie noch einen drauf, wobei sie diesmal auf den doch eher plakativen Genre-Rahmen verzichten kann, ihre Geschichte ist auch ohne eine solche Stütze stark genug – und Corona bzw. der Lockdown bietet ja auch eine bestens passende Struktur.

Geheimnisse gibt es natürlich trotzdem, auch für Spannung und Überraschung ist also gesorgt. Interessant außerdem übrigens, wie diese junge Schriftstellerin mit ihrer Prosa auftritt. Das ist nicht in irgendeiner Form so genannte „Literatur aus Afrika“, sondern Weltliteratur, die sich an einem globalen Diskurs beteiligt – und dabei insbesondere in der Pandemie-Zeit ganz weit vorne liegt. Um nicht zu sagen: an der Spitze. Das alles steckt in diesem schmalen Buch: „Das Baby ist meins“ ist ein funkelndes Kleinod, ein ausgesprochen gescheiter Corona-Lockdown-Roman.

(Oyinkan Braithwaite: Das Baby ist meins. Aus dem Englischen von Yasemin Dinçer. Blumenbar Verlag, 2020. Euro 15,–)

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