Sonntagabend, 13.12., kurz vor Mitternacht, knapp vor Lockdown: Wie eben bekannt wurde, ist John le Carré gestorben – eine Lichtgestalt des Spionageromans. Mit 89 Jahren. “Der Spion, der aus der Kälte kam”, sein dritter George-Smiley-Roman, mit dem er weltberühmt wurde, verfilmt mit Richard Burton, erschien 1963. Vor 57 Jahren! Wie jung der Meister im Herzen noch immer sein konnte, zeigt sein Roman “Federball”, der vor einem Jahr auf Deutsch veröffentlicht wurde: Eine so gnadenlose wie intelligent gemachte Abrechnung mit dem Brexit, eine klasse Spionagegeschichte zudem, das aber ungewohnt wertend, ein Statement. Gut vorstellbar, dass le Carré die herrschende Politik in England jetzt einfach nicht mehr ertragen konnte und deshalb endgültig seinen Schlapphut nahm; mit Corona direkt hatte sein Tod in Folge einer Lungenentzündung jedenfalls nichts zu tun, das gab seine Agentur mit der Todesnachricht bekannt. Man kann viel lernen, wenn man die Romane von John le Carré liest; in Zeiten des neuen Kalten Krieges entfalten sie einmal mehr ungeahnte Aktualität; sein Credo “Traue niemandem – am wenigsten aber den eigenen Leuten” prägt außerdem fast alle relevanten Spionage-Romane/-Filme/-Serien der letzten Jahre, und zwar entscheidend. Wie auch immer: Eine traurige Nachricht. Sowieso – aber auch, weil ich von ihm gern noch eine Story gelesen hätte, in der sich Spione in einer gelockdownten Stadtlandschaft unerkannt durchschlagen müssen … Als kleine Verneigung zum Finale hier nochmal meine Hommage an seinen letzten Roman aus dem vergangenen Jahr:
John le Carré, 88, ist DER Meister des Spionageromans. Er veröffentlicht seine Geschichten seit den 1960er Jahren; die berühmteste ist “Der Spion, der aus der Kälte kam” von 1963. Nach seinem letzten Roman “Das Vermächtnis der Spione” aus dem Jahr 2017 wollte John le Carré eigentlich aufhören. Das hat er sich anders überlegt, aus gegebenem Grund. Ein Glück – für uns LeserInnen …
Denn “Federball” trifft mitten ins Herz der Gegenwart, ohne jede Nostalgie, top aktuell und ausgesprochen bissig. Zwei Gründe sind es, die den Autor nochmals ans Werk gehen ließen: Die britische Politik rund um den Brexit-Prozess, le Carré ist ein vehementer Kritiker. Aber auch die Tatsache, dass sich durch die expansive Außenpolitik Russlands der alte Ost-West-Konflikt unter anderen Umständen neu zu formieren scheint – inklusive aller nur denkbaren Geheimdienstaktivitäten, mit einer Mischung aus ganz alten und ganz neue Methoden.
Im Zentrum der Geschichte steht Nat, ein verdienter Agent im Auftrag ihrer Majestät, nach Jahren im Auslandseinsatz möchte er mit Ende 40 dieses Kapitel abschließen, zu Hause ankommen, sich endlich um Frau und Tochter kümmern, seßhaft werden. Nat übernimmt eine kleine, fast vergessene Abteilung, die sich um russische Aktivitäten im Raum London kümmert, zum Ausgleich treibt er viel Sport, vor allem: Badminton. Dort lernt er auch Ed kennen, der ihn, den Vereinsmeister, zum Duell fordert. Ein sympathischer, aber auch sehr wütender junge Mann, zutiefst überzeugter Europäer, der auf den Brexit und auf Donald Trump schimpft, den er für einen Faschisten hält. Was Nat nicht wissen kann: Ed wird ihm auch in beruflichen Kontexten begegnen – und herausfordern; als LeserIn ahnt man so einiges mit Wissensvorsprung, es kommt dann allerdings ganz anders als erwartet.
Zwei Operationen sind es, mit denen Nat dann vorwiegend beschäftigt ist: Zum einen die Überwachung eines zwielichtigen Oligarchen, die allerdings „von oben“ torpediert wird. Warum das? In Operation 2 geht es um einen Hinweis, dass der russische Geheimdienst eine hochrangige Person mit Zugang zu geheimsten Geheimnissen verpflichtet haben könnte; eine aufwändige Aktion der Gegenspionage wird erforderlich, mit Nat zunächst im Zentrum – dann aber im Auge eines Sturmes, der sein ganzes Dasein verwüsten könnte …
John le Carré erzählt von alldem wie gewohnt, mit souverän-ironischer Eleganz als trickreiches Vexierspiel mit doppelten und dreifachen Böden. „Federball“ (Originaltitel: „Agent in the field“) ist ein hoch aktueller Spionageroman auf Höhe der Kunst, brillant geplottet, voller Energie – und kein bisschen „altersweise“ oder nostalgisch. Im Gegenteil: Nicht bloß die Charaktere äußern sich dezidiert (tages-)politisch im Sinne ihres Schöpfers; auch strukturell, auf Ebene der „Operationen“, darf man diese Geschichte als Statement verstehen: Klare Kante, ein grimmig-engagierter Spionageroman von einem überzeugten Demokraten – und Europäer.
(Ullstein Verlag, 2019. 349 Seiten. Übersetzt von Peter Torberg. ISBN 978-3-550-20054-0. Euro 24,–)