New Orleans, um 1920 herum, zwischen den Kriegen: Das sind die Zeit und der Ort, von denen Nathanial Rich in seinem fundamentalen (Kriminal-)Roman erzählt – zugleich liefert er viele Anklänge an die Gegenwart, von “Black Lives Matter” bis zu Corona …
„Alle Schulen, staatlich, privat oder kirchlich sind geschlossen. Alle Kinos und Theater geschlossen. Alle Kirchen geschlossen. Alle öffentlichen Zusammenkünfte, Konzerte und Sportveranstaltungen abgesagt. Menschenansammlungen auf Straßen verboten.“ Und so weiter und so fort. Dieses Zitat wirkt wie ein Blick auf ein beliebiges Land in der Corona-Krise, im Jahr 2020. Tatsächlich befinden wir uns in New Orleans, im Oktober 1918. Eine von vielen originalen Zeitungsmeldungen, die Nathaniel Rich in seinen Roman „King Zeno“ eingewirkt hat. Nach knapp 200 Seiten hält auch noch die Spanische Grippe Einzug ins Geschehen, da kann es eigentlich schon nicht mehr schlimmer werden – und die Seuche wird sich rasend schnell verbreiten, quer durch alle gesellschaftlichen Sphären. So wird sogar der Axtmörder, der in der Stadt sein Unwesen treibt, zum Nebenthema, für eine Zeit lang zumindest.
Eine Corona-Schnellschuss, könnte man vermuten, aber „King Zeno“ ist im amerikanischen Original schon 2018 erschienen. Gutes Timing – aber sicher kein Glückstreffer. Denn das Prinzip Infektion ist in vielerlei Hinsicht ein entscheidender Faktor in diesem historischen Kriminalroman, der weit mehr will, als einfach nur die Geschichte eines Verbrechens zu erzählen, nämlich Geschichte nahbar machen, in die Geschichte entführen. Und die Mechanismen, die Geschichte machen, oft sind es verbrecherische, offen legen. Dabei spielen eben verschiedenste Infektionsgeschehen ihre Rollen: Das organisierte Verbrechen mit seiner Gier. Der kapitalistische Traum unendlichen Profits. Der Wunsch nach Wohlstands-Transformation. Weltkriegstraumatisierungen. Der unsägliche Rassismus – und der Jazz, der alle Hoffnung auf Zukunft, auf ein anderes Leben birgt. Allesamt jedenfalls Geschehen mit hoher Virenlast – die Verwerfungen bewirken werden wie nichts zuvor.
„King Zeno“ ist ein Roman, der sich liest, wie sich die Serie „Babylon Berlin“ anschaut: Opulent, plakativ, gewaltig. Mit exquisit ausgesuchten und gestalteten Charakteren, Konflikten und Handlungsorten. Man merkt dem Ganzen fast jederzeit an, dass Nathaniel Rich mit seiner Geschichte ein ganz großes Ding landen wollte. Mitunter strotzt der Roman so vor Kraft, dass er etwas zur Unbeweglichkeit neigt, aber alles in allem löst er das Versprechen, das sein Autor gibt, hervorragend ein, insbesondere übrigens mit sprachlichen Mitteln. Ein Roman wie ein Mahlstrom, der einen anzusaugen und mitzureißen droht in den Untergang, der doch eigentlich kommen muss, anders kann es gar nicht sein. Gut zu wissen, dass solch eine Reise gerade die sicherste Weise ist, seine Zeit zu verbringen, angesichts der realen Infektionslage draußen.
(Übersetzt von Henning Ahrens. Rowohlt Berlin, 2020. ISBN 978-3-7371-0091-5)