Die Venetia-Bibliothek

https://blog.wdr.de/nollerliest/die-venetia-bibliothek/

Die Venetia-Bibliothek

Kommentare zum Artikel: 0

Was ist wohl der größte anzunehmende Unfall für lesefreudige Inselurlauber? Also, für solche, die “richtige” Bücher lesen wollen, nicht Dateien auf dem Reader? Genau, die Horror-Vorstellung, dass das Gepäck verloren gegangen sein könnte – und damit auch die eingeplanten, eingepackten Urlaubs-Lektüren.

Zahnbürste etc. kann man sich schnell besorgen, Klamotten braucht´s nicht viele bei 30 bis 37 Grad. Aber die Bücher, mit denen man den ganzen Tag, den ganzen Urlaub verbringen wollte, sie sind im Prinzip doch eigentlich unersetzbar. Und wo´s – zum Beispiel auf einer griechischen Insel – mal im Schreibwarenladen deutsche (oder englische) Bücher zu kaufen gibt, da findet sich nun auch nicht gerade das Gelbe vom Ei.

Eine Horrorvorstellung also, der sonnige Strandurlaub fällt ins Wasser, weil man lektüretechnisch auf dem Trockenen sitzt. Oder doch nicht? Immerhin gibt´s ja auch die “Hotelbibliotheken”, mit den Büchern, die liegen geblieben sind. Die Bibliothek im Hotel Venetia, gelegen im Örtchen Ireon auf der griechischen Insel Samos, ist zum Beispiel ziemlich opulent ausgestattet (siehe Bild oben).

Was also hätte ich in diesem Urlaub gelesen, wenn mein Gepäck nicht angekommen – und das iPad kaputt wäre? Ich meine, das hört sich etwas konstruiert an, habe ich aber alles schon erlebt, und zwar auf griechischen Inseln.

Hier also meine Venetia-Bestseller aus dem Sommer 2017:

1. Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Erle Stanley Gardner und andere: Die besten Storys aus dem weltberühmten “Black Mask Magazine” (Goldmann Taschenbuch, 1979. Antiquarisch erhältlich ab Euro 0,49) Kurzgeschichten der großen “harten” Krimiklassiker. Genau das richtige für den Urlaub – zur Besinnung darauf, dass “Krimi” ja auch mal was anderes konnte als fette, aufgepumpte Schwarten zu liefern.

2. Jo Nesbo: Rotkehlchen. (Ullstein Taschenbuch, 2004. Euro 9,95) Okay, Nesbo ist einer von denen mit den aufgepumpten Krimi-Schwarten. Aber im Urlaub mit Mangel an Lesefutter kann das ja auch ein Vorteil sein. Außerdem haben auf Samos in diesem verschiedenste Leute aus unterschiedlichsten Ländern Nesbo gelesen am Strand. So kommt man vielleicht ins Gespräch…

3. T.C. Boyle: Die Frauen (Hanser Verlag, 2009. Als Taschenbuch Euro 9,90. Die gebundene Ausgabe, die auch im Venetia stand, bekommt man antiquarisch ab Euro 1,29). T.C. Boyle ist ja einer der erfolgreichsten US-Autoren, hier erzählt er die Geschichte des Architekten Frank Lloyd Wright – und die der Frauen um ihn herum. Gewagte Lektüre, denn es muss ja einen Grund haben, dass ein anderer Urlauber das hübsch gebundene Buch hat liegen lassen. Na gut, vielleicht brauchte er (wie ich) einfach Platz im Koffer für Olivenöl in kleinen Plastikflaschen, direkt vom Erzeuger.

4. Wladimir Kaminer. Diesseits von Eden. Neues aus dem Garten. (Goldmann Verlag, 2015. Euro 8,99) Keine Ahnung, wie man auf die Idee kommt, Wladimir Kaminers Erfahrungsbericht übers gärtnernde Landleben vor den Toren Berlins mit auf eine griechische Insel zu nehmen. Kommt einem reichlich absurd vor – andererseits ist möglicherweise genau das die Lektüre schon wert…

5. Vicky Baum: Hotel Schanghai (Bertelsmann, 1957. Antiquarisch im Netz erhältlich ab Euro 0,01. Eine Taschenbuchneuausgabe erschien 2007 bei KiWi, kostet Euro 9,95). Die Geschichte von neun oder zehn Menschen, die in den 1930er Jahren im “Hotel Schanghai” eben in Schanghai aufeinander treffen. Vicky Baum, Jüdin, die 1932, also schon vor der Machtergreifung, von Österreich in die USA emigrierte, war eine der erfolgreichsten Unterhaltungsschriftstellerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine eher unerwartete Wiederentdeckung.

Welches Buch würdest Du mit auf eine einsame Insel nehmen, wenn Du wirklich nur dies eine Buch – und keinen Reader – mitnehmen dürftest? Wird man manchmal gefragt, wenn man sein Geld mit Lesen verdient. Tja, wie wär´s mit einer Gegenfrage: Welches Buch würdest Du auf einer Insel lassen – und welches nicht?

Tatsache ist: Die Romane (und Geschichten), die sich im Venetia finden, stimmen einen alles in allem etwas, sagen wir, melancholisch: mit solchem Mist versauen die Leute sich die wertvollen Strand- und Sonnentage. Gut, andererseits ist der Trash-Anteil in den Herbst-Verlagsprogrammen, die ich nach meiner Rückkehr durchgehe, nun auch nicht wirklich niedriger.

Toll jedenfalls, wie Antje und Jorgo “ihre” Bibliothek pflegen und hegen; wie sie jedes liegen gebliebene Werk zu seinem Recht kommen lassen; wie sie auch Jahrzehnte alte Druckerzeugnisse treu bewahren.

Was mich persönlich übrigens ganz zufrieden stimmt: Die Bücher, die ich im letzten Jahr im Venetia habe liegen lassen, sie sind alle weg. Oder unterwegs an irgendeinem Strand…

Einen Kommentar schicken

Die mit * gekennzeichneten Felder müssen ausgefüllt werden.

Top