Wie umgehen damit, wenn die Schatten der Vergangenheit allzu sehr in die Gegenwart ragen? Melanie Raabe schickt in ihrem neuen Roman “Die Wälder” (btb, 16 Euro) ein paar Jugendfreunde, die sich über die Jahre mehr oder minder aus den Augen verloren haben, zurück in das Dorf, aus dem sie einst fortgingen. Sie müssen sich den Ängsten stellen, die sie fort trieben – und die Geheimnisse klären, die dahinter stecken, aktuelle und vergangene. Um dahin zu kommen, müssen sie allerdings erst einmal den Weg bewältigen, der in die “Heimat”, zum Herkunftsort, ins Vergangene führt – den eben durch die Wälder, die das Dorf umgeben. Und wer weiß, was sich da, unterwegs zurück, so alles ereignen wird … – Ein weiterer “unblutiger Thriller” von Melanie Raabe, der es in sich hat; abgründig, wendungsreich, immer wieder überraschend – und einmal mehr spiegelt Melanie Raabe in ihrem neuen Roman aktuelle gesellschaftliche Themen dabei sehr subtil mit Fingerspitzengefühl. Herkunft, Heimat – klar, auch so kann man das sehen. Dieser gewitzte Roman ist außerdem eine große Hommage an die Freundschaft, klasse!
Melanie Raabe gilt als Deutschlands Thriller-Shootingstar, sie bekommt viel mediale Aufmerksamkeit, und zwar völlig zurecht, denn sie hat, als Schreibende wie als Redende, etwas zu sagen. Trotzdem wundert man sich manchmal, wie gebannt “alle” auf solch einen Stern am Firmament blicken – und dabei leicht übersehen, dass daneben noch andere Himmelskörper leuchten. Bestes Beispiel dafür ist der Schriftsteller Richard Lorenz, dessen neues Buch “Hinter den Gesichtern” (Luzifer Verlag, Euro 13,95) kürzlich erschien – was aber niemanden zu interessieren scheint. Und zwar: zu Unrecht. Richard Lorenz erzählt von einer nicht mehr ganz jungen Frau, allein erziehend, Intensivschwester, von der die Leute sagen, sie habe das zweite Gesicht, seitdem sie als Jugendliche eine Mordserie an Kindern “aufklärte”. Lisbeth Broussard hat damit längst abgeschlossen, Abstand gefunden – dann geht das Morden wieder los. Und bald zeigt sich, klar, dass sie mit ihrer Tochter im Visier des Täters steht. Oder der Täterin? Auch Richard Lorenz erzählt eine Geschichte über das Vergangene im Gegenwärtigen, auch in “Hinter den Gesichtern” geht es letztlich um Identität und Herkunft. Dabei klingt Magisches und Mythisches an, was letztlich sehr geschickt aufgelöst wird; und Richard Lorenz trifft stilistisch einen sehr speziellen, unverwechselbaren Ton. Ein im besten Sinne ungewöhnlich packender Roman, der eine ganze eigene Welt erzählt – beeindruckend!
Apropos Alltag und Geheimnisse: Was hat es eigentlich mit der Putzhilfe auf sich? Wo kommt sie her, wer ist sie wirklich? Und, demgegenüber: Was hat die Auftraggeberin zu verheimlichen? Was treibt die beiden um? Aus dieser Konstellation zaubert Regina Nössler mit ihrem Roman “Die Putzhilfe” (konkursbuch, Euro 12,90) einen veritablen Psycho-Thriller, mit dem sie kürzlich etwas überraschend, aber völlig zurecht den zweiten Platz beim Deutschen Krimi Preis für das Jahr 2019 errang. Die Putzfrau ist promovierte Soziologin, sie kommt aus der Provinz, ist in der Hauptstadt untergetaucht, auf der Flucht vor häuslicher Gewalt, so viel sei verraten. Oder ist alles ganz anders? Wie auch immer – dieser auf seine Weise ebenfalls unheimliche Thriller ist eine Art Studie zwischen Wahn und Sinn, mit jeder Menge doppelten Böden doppelter Böden, faszinierend. Abgesehen davon: Ein Berlin-Roman der etwas anderen Art – ein wahrlich erschütterter Blick auf die dreckigen und hässlichen Seiten der Stadt.