Ein Hoch auf die Klappentexter. Also, auf diejenigen von ihnen, die ihr Handwerk verstehen. Anders als zum Beispiel bei dem Roman “Der Trip” von Fiona Barton, dessen erste 100 Seiten sich jeder sparen kann, der den Klappentext gelesen hat, da wird nämlich ohne Not verraten, was eben dann – entscheidend – passiert. Deshalb also: Obacht, die Klappe bitte in diesem Fall über-lesen! Die Story, hier ohne große Spoiler: Zwei junge Frauen, die nach dem Abi auf große Reise gen Thailand aufbrechen, werden alsbald vermisst; es entspannt sich eine dramatische Suche, Recherche, Ermittlung. Fiona Barton erzählt ihre Geschichte multiperspektivisch, Polizisten spielen eine Rolle, Journalisten, die Eltern natürlich, die “Vermissten” sowieso. Das ist sehr geschickt angelegt und gekonnt umgesetzt, und mit zunehmendem Wendungsreichtum entspannt sich eine straffe Dynamik, die einen starken Sog entfaltet. Plus: Nebenstränge, die zu Herzen gehen. Beeindruckend: Wie sie das Ganze, obwohl alles, was “passiert”, in Bangkok geschah, doch so zu plotten weiß, dass weite Teile in England handeln. Und das Thema – mitten aus dem Leben gegriffen, wenn man so will, sehr interessant, insbesondere natürlich für Eltern erwachsen werdender Kinder und für diese weltreisewillige Generation selbst. Was man bemäkeln könnte an “Der Trip”: Die Geschichte braucht etwas, um in Gang zu kommen, anfangs zieht es sich ein wenig. Insofern, so gesehen, dann doch: Ein Hoch auf den Klappentexter. (Wunderlich, übersetzt von Sabine Längsfeld, Euro 16)
Ungeahnte Anerkennung für die britischen Bestsellerroutiniers des Autorenpaars Nicci French: “Was sie nicht wusste”, ihr aktuell auf Deutsch platzierter Roman, wird allerorten gelobt, hat es sogar auf die Krimibestenliste geschafft, ein Bestseller ist das Buch ja sowieso. Neve Connolly, eine Mutter und Ehefrau am Rand des Nervenzusammenbruchs, hat eine Affäre, sie hat sich in ihren Chef, den CEO eines Startups verliebt – der, so beginnt die Geschichte, ausgerechnet in dem Liebesnest, in dem die beiden turtelten, zu Tode gemeuchelt wurde. Dass der grad noch soooo Geliebte tot ist, interessiert die Protagonistin schon einen Moment später nicht weiter, denn sie hat von Stund an natürlich jede Menge Komplikationen zu beseitigen und, nebenbei sozusagen, auch noch herauszufinden, wer die Tat beging – um weitere Probleme und deren Anhäufung zu vermeiden. Und sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Oder jemand anderen? Oder so. Der Aspekt “Familienchaos” ist ganz nett, mit gemessener (bestsellertauglicher) Ironie geht´s durch den Wahnsinn des Alltags, und diese Ebene ist auch passabel mit dem Krimi-Plot verbunden. Der allerdings ist so hanebüchen, speziell in Sachen “Polizeiarbeit”, wie die Figurenpsychologie unplausibel bleibt, insbesondere mit Blick auf die Hauptfigur, auf Neve also. Ein Retortenkrimi, der technisch auf eine Weise schon ganz gut gearbeitet ist, letztlich aber nicht das hält, was er verspricht, weil es ihm an Herz (an der richtigen Stelle) fehlt – ein industrielles Massenprodukt und viel zu offensichtlich: reine Routine. (C. Bertelsmann, übersetzt von Birgit Moosmüller, Euro 16)
Holger Karsten Schmidt ist so was wie ein Großmeister des Fernsehkrimis made in Germany, sein Output von Film über Mehrteiler bis hin zu Serien ist immens – und immer wieder eigen, besonders. Seit einigen Jahren versucht er sich auch in den Gefilden der Kriminalliteratur; zum Beispiel mit dem Roman “Auf kurze Distanz”, erschienen 2011, in dem es um die Wettmafia ging, und mit seinen drei Leander Lost-Geschichten, veröffentlicht unter dem Pseudonym Gil Ribeiro, die mit einem etwas autistischen deutschen Ermittler im Zentrum europäische Kulturen in Portugal zusammen prallen lassen. Jetzt ist sein neuer Roman “Die Toten von Marnow” frisch auf dem Markt, vor der Verfilmung, die demnächst wohl in der ARD zu sehen sein wird. Im Zentrum der Handlung, die im Jahr 2003 in und um Rostock angesiedelt ist, steht ein auf sehr erfrischende Weise ungleiches Ermittlerpaar: Frank Elling, ein Kleinbürger vor dem Herrn, der allerdings tiefe Abgründe birgt, wie sich zeigt – und Lola Mendt, die aus dem Westen ein unbekanntes Trauma mitgebracht hat, das ihr allzu offensichtliches Selbstbewusstsein konterkariert, sie mag sich nicht binden, kampiert mit ihrem Wohnmobil mal hier, mal dort rund um die Stadt. Die beiden haben eine Reihe von Morden aufzuklären, die auf schwerst undurchschaubare Weise doch zusammenzuhängen scheinen; die Ermittlungen führen zu einem erfolgreichen Pharmaunternehmen, zugleich aber auch in die deutsch-deutsche Vergangenheit und in die aktuelle Politik. Das Thema, das dahinter steckt, ist brisant und greift tatsächliche Geschehnisse auf. Hinzu kommen private Stränge, das klingt bei ihrem Trauma ja schon mit an; bei ihm ist es die unerschütterliche (?) Liebe zu seiner Frau, einer Lokaljournalistin, die für diverse Wendungen sorgt. Der Stoff ist reichhaltig, Holger Karsten Schmidt schöpft aus dem Vollen, gebannt folgt man den Kapriolen und Verknotungen seines Plots bzw. seiner Plots auf allen möglichen Ebenen. Anfangs wähnt man sich dabei fast wie in einem “Tatort”- oder “Polizeiruf”-Setting; wie der Autor das ergänzt und fortschreibt und variiert, wie er damit spielt, wie er die Grenze zwischen “gut” und “böse” umschleicht und in Frage stellt, bevor er sie doch wieder klärt, möglicherweise zumindest, das ist ein Vergnügen – nicht zuletzt auch deshalb, weil einem beim Lesen dieses Buches die Lust am Erzählen seiner Geschichte richtiggehend entgegen springt, zumindest wirkt es so. Klasse, ein wahrer Schmöker. (Kiepenheuer & Witsch, Euro 16)