Ein Preis speziell für schreibende Frauen aus dem Globalen Süden – das ist der LiBeraturpreis, der in diesem Jahr zum 33. Mal vergeben wird. Der LiBeraturpreis ist ein Publikumspreis, ab dem 26. Juni kann jedermensch für eine der zwölf Kanditatinnen votieren, und zwar HIER. Wer diese Kandidatinnen sind, das erklären die JurorInnen der “Weltempfänger”-Jury, die alle drei Monate die besten Neuerscheinungen aus Asien, Lateinamerika, Afrika und dem asiatischen Sprachraum auswählen – HIER finden sich kurze Videos zu allen potentiellen Preisträgerinnen 2020. Frauen, die dem “Weltempfänger” landen, sind automatisch auch KandidatInnen für den LiBeraturpreis. Verantwortlich für das alles ist Anita Djafari, die Geschäftsführerin der Vereins litprom, der den LiBeraturpreis in Zusammenarbeit mit der Frankfurter Buchmesse auslobt. Alles Wissenswerte drumherum, auch zur Vergabe in Corona-Krisenzeiten – hier im Gespräch mit Anita Djafari:
Der „LiBeraturpreis“ – was steckt eigentlich hinter diesem Namen?
Der Name LiBeraturpreis mit großem B als Stolperstein soll zum Nachdenken anregen. Die Gründer*innen bezogen sich bei der Namensgebung auf das lateinische liber = frei und liber = das Buch. Wobei bei ersterem unsere Befreiung von eingefahrenen Wahrnehmungsmustern und Klischeevorstellungen gemeint war. Das passte damals und gilt auch noch heute.
Wie kam es zur Gründung, und wann war das?
In der evangelischen Gemeinde der Christuskirche in Frankfurt gab es einen engagierten Pfarrer, Alexander Kaestner, der in den 1980er Jahren unter anderem einen entwicklungspolitischen Arbeitskreis organisiert hatte. Daraus entwickelte sich die Idee, nicht nur die Probleme der Länder der so genannten Dritten Welt zu benennen, sondern lieber auf deren kulturellen Reichtum hinzuweisen, von dem wir hierzulande lernen können. Dabei fiel auf, dass in der Literatur der Anteil der übersetzten Literatur von Frauen beschämend gering war. Die Titelauswahl in einem Jahr passte großzügig auf ein Din A4-Blatt.
Die erste Preisträgerin ist eine Art Leitfigur geworden, oder?
Ja, das lässt sich jetzt nach über 30 Jahren mit reichlich Abstand feststellen: Gleich die erste Preisträgerin im Jahr 1987 mit ihrem Roman “Segu” war und ist eine große Schriftstellerin mit einem großen Roman, insofern vielleicht unbewusst eine Leitfigur, auf die wir einfach stolz sein können. Sie ist ja nach wie vor präsent und bestätigt mit ihrem gesamten Oeuvre genau das, was mit dem LiBeraturpreis erreicht werden sollte.
Wir sprechen von Maryse Condé. Gerade ist ja „Das ungeschminkte Leben“ erschienen, ihre Autobiographie …
Ja, und diese Autobiographie hat mich persönlich so begeistert, dass ich dachte, wenn man eines Tages den Preis umbenennen wollte, dann müsste er nach dieser Frau benannt werden. Sie beschreibt in diesem Buch ja nur ihre ersten Jahre des Erwachsenwerdens und auch gleichzeitig ihren Weg zur Schriftstellerin. Abgesehen von ihrem persönlichen Chaos in dieser Zeit, das sie schonungslos schildert (immerhin hat sie in relativ kurzer Zeit vier Kinder von drei verschiedenen Männern bekommen und versucht, sie teilweise alleine großzuziehen, dabei stellt sie sich niemals als Opfer dar), ist dieses Werk auch eine beeindruckendes Zeugnis ihres scharfen Verstands und ihrer intellektuellen Neugierde, mit der sie sich aufmacht aus Paris, um in verschiedenen Ländern Westafrikas zu leben und auch durchzuschlagen. Dabei versucht sie, mit ihrer kritischen und erstaunlich unabhängigen Beobachtungsgabe, skeptisch gegenüber jedweder Ideologie diesen Kontinent und die damals so wichtigen Befreiungsbewegungen zu verstehen. Auf Gouadeloupe in eine privilegierte aufstiegsorientierte Familie hineingeboren, hat sie sich Zeit ihre Lebens mit der Aufarbeitung ihrer karibischen Wurzeln beschäftigt, immer mit forschendem und selbstkritischem Blick. Eine Kosmopolitin, wie sie im Buche steht. Insofern Leitfigur, nochmal ja!
Welche Preisträgerinnen haben Dich im Lauf der Jahre besonders beeindruckt?
Die zweite Preisträgerin war die Algerierin Assia Djebar, die wenige Jahre später den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam. Auch eine wichtige neue Stimme, die postulierte: “Man muss schreiben, wenn man eine Frau ist und aus dem Süden!” Wir sind da immer noch in den 1980er Jahren, das darf man nicht vergessen! Beeindruckt haben mich aber auch noch viele andere Autorinnen, darunter Edwidge Danticat aus Haiti, die mittlerweile in den USA lebt und eine große internationale Karriere als Schriftstellerin gemacht hat. Auch Aminatta Forna aus Sierra Leone/GB hätte ich hierzulande mehr Aufmerksamkeit gewünscht. Claudia Pineiro aus Argentinien hingegen hat erfreulicherweise ihre Leserinnen auch im deutschsprachigen Raum gefunden mit einem sehr umfangreichen Werk. Ganz besonders interessant finde ich Madeleine Thien aus Kanada, die sich in ihrem Werk mit ihren asiatischen Wurzeln mit großer Tiefe beschäftigt. Oh Jeong-Hee aus Südkorea hat mir schon früh Zugang zu diesem fernen Land beschert, und Patricia Grace aus Neuseeland hat mich auf warmherzige Art mit der Welt der Maori bekannt gemacht. Man sieht: Das Lesen der Bücher und die persönliche Begegnung in all den Jahren ist ein einziges Füllhorn gewesen.
Wie ist denn das Procedere für die Preisvergabe 2020?
Eine schwere Frage in schwierigen Corona-Zeiten. Nach dem OnlineVoting, das am 28.6. über die Website von Litprom beginnt und in dem das Publikum, die Leserinnen und Leser entscheiden, wer den Preis bekommt, müssen wir sehen, ob die Gewinnerin überhaupt nach Frankfurt kommen kann, um den Preis entgegen zu nehmen. In jedem Fall wird es eine Zeremonie geben, mit Laudatio und Gespräch mit der Übersetzerin oder dem Übersetzer und einer Lesung, je nach aktueller Situation auch mit Publikum. Wir hoffen, dass es uns gelingt, die Preisträgerin im Zweifelsfall dazuzuschalten. Das wäre ein hybrides Format, an dem im Moment ja viele arbeiten. Auf jeden Fall wird die Preisverleihung am 16. Oktober während der Frankfurter Buchmesse stattfinden.
Dein Empfehlungsvideo kreist um Hye-young Pyun und ihren Roman „Der Riss“. Deine Favoritin?
Ja, Hye-young Pyun ist mit diesem Buch meine Favoritin. Ich mag diesen unaufgeregten, fast nüchternen Stil, in dem die bösesten und abgründigsten Vorgänge im zwischenmenschlichen Umgang benannt und beschrieben werden. Das können die koreanischen Schriftstellerinnen besonders gut und treffen dabei immer einen universalen Kern. Das ist sehr spannend und berührend zugleich.
Dass Du eine Schriftstellerin aus Südkorea empfiehlst, kommt also wohl nicht von ungefähr …
Ich beobachte das Schreiben und die Übersetzungen, die aus Südkorea kommen, seit 2005. Ich kam intensiv damit in Berührung, als Korea Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse war. Ich habe früher als Freiberuflerin die Lesungen, die über das ganze Jahr im deutschsprachigen Raum und auf der Messe stattfanden, organisiert – und spüre seitdem eine große Affinität. Deshalb habe ich mich auch besonders über den Erfolg von Han Kang mit “Die Vegetarierin” gefreut.
Hinter dem „LiBeraturpreis“ steckt der Verein litprom e.V. Was ist das für ein Verein, dessen Chefin Du bist?
Ich bin die Geschäftsleiterin von Litprom ev. V. , der als “Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e. V. ” vor genau 40 Jahren gegründet wurde. Der lange Name beschrieb im Prinzip den Auftrag, den sich dieser Verein gegeben hat: Förderung von Übersetzungen der Literatur aus den genannten Regionen. Das tut er seitdem, natürlich immer wieder mit unterschiedlichen Mitteln. Ein Herzstück ist aber dabei die vom Auswärtigen Amt und dem Schweizer Südfonds finanzierte Übersetzungsförderung. Nach wie vor ein besonderer und zunehmend wichtiger Beitrag zur Diversität in der literarischen Landschaft.
litprom feiert in diesem Jahr den 40. Geburtstag. Wie habt Ihr vor zu feiern? Ist ja alles nicht so einfach in diesem Corona-Krisenjahr …
Ja, nichts ist einfach in dieser Corona-Krise, und dass es uns ausgerechnet im Jubiläumsjahr trifft, ist schade. Aber wir sind wahrhaftig nicht die Einzigen, die leiden, insofern möchte ich nicht so viel darüber jammern. Das Litprom-Team gibt wie immer sein Bestes, und wir stellen anlässlich des Jubiläums gerade ein Symposium zum Thema “Afrikanische Literatur – Rückblick und Ausblick” (Arbeitstitel) auf die Beine, das ebenfalls in hybrider Form am 12. Oktober, also Montag vor der Buchmesse, einen Tag lang stattfinden wird, und zwar in Kooperation mit der KfW-Stiftung und finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amts in der schönen Villa 102 in Frankfurt. Denn mit dem Gastland “Schwarzafrika” auf der Frankfurter Buchmesse 1980 fing alles an … Ich bin über dieses Thema als Studentin Mitglied in diesem Verein geworden und geblieben …
Dir persönlich als litprom-Chefin steht auch ein besonderer Moment bevor, sagen gewöhnlich gut informierte Kreise. Wie geht’s Dir damit?
Das ist die schwerste Frage, die ich dennoch gerne beantworte. Allerdings habe ich da auch nur üblichen Floskeln parat, die halt trotzdem zutreffen. Ich gehe im Oktober nach der Buchmesse in den Ruhestand, mit einem lachenden und natürlich auch weinenden Auge. Das ist eine zweifellos schöne Aufgabe mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten, immer mit einem tollen Team, ohne das sowieso nichts funktionieren würde. Da fällt der Abschied schon schwer. Ich freue mich aber auch auf neue Freiheiten mit mehr Zeit für Freunde und Familie und wer weiß, was sich so alles ergibt. Konkrete Pläne habe ich gar keine, wieso auch. Ist doch in diesem Lebensabschnitt gar nicht vorgesehen. Aber ehrlich gesagt: Dass ich in der Jury des Weltempfängers mitmachen kann, freut mich doch sehr. So bleibe ich verbunden. Und das reicht mir.