Naturkontrollagentin Xazy. Und andere. Aktuelle Literatur aus Deutschland.

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Naturkontrollagentin Xazy. Und andere. Aktuelle Literatur aus Deutschland.

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Nennen Sie einen ganz besonderen, speziellen, einzigartigen Schriftsteller aus Deutschland? Da würden sicher nicht wenige direkt den Namen Georg Klein im Sinn haben, der Welten in einer Sprache erschafft, die es so bloß bei ihm gibt. Sprache und Welten, Sprachwelten. Merkwürdige Welten im Sinne des Wortes – also Welten, die es würdig sind, dass man sie im Kopf behällt. Eigenwillig ist auch so ein Begriff, der im Zusammenhang mit diesem Autor gern gewählt wird – wobei er selbst schon vor Jahren in einem Interview gesagt hat, dass ihm im Bezug auf sein Schreiben der Begriff Eigenweltlichkeit eigentlich besser gefällt als der der Eigenwilligkeit. Wie auch immer: „Miakro“ (Rowohlt Euro 24), Georg Kleins neuer Roman, schafft wieder genau das, wofür man den Autor kennt und schätzt: Eben eine ganz eigene Welt zu kreieren, in seiner ganz eigenen Art, das Deutsche zu variieren – und letztlich kann man Welt und Sprache möglicherweise gar nicht unterscheiden: Alles ist Sprache, auch die für das Buch geschaffene Welt, nur darum geht es, die Sprache zu ermessen, mit ihr zu spielen, sie zu erkunden, sie zu variieren. Die Story, die es natürlich trotzdem gibt: In einem irgendwie unterirdisch, zumindest hermetisch verschlossen wirkenden Gebäudekomplex versuchen ein paar Männer, die in einem „mittleren Büro“ arbeiten, für wen auch immer, ans Tageslicht zu kommen – zugleich wird das Gebäude außen von Soldaten belagert, die unter der Führung einer Frau namens „Naturkontrollagentin Xazy“ stehen. Wie die beiden Ebenen miteinander zu tun haben, erschließt sich nur bedingt; was es mit dem dystopisch anmutenden Gefilde auf sich hat, ebenfalls. Verwirrend. Faszinierend. Merkwürdig. Georg Klein, eben. Ach so, und der Titel: „Miakro“ ist ein Wortkombination, eine Mischung aus Mikro und Makro. Das bringt´s auf den Punkt.

Wir haben da ja eine feine, kleine Diskussion: Gehört der Islam zu Deutschland? Mir persönlich eher schnurz, wie man das jetzt genau definiert, wir haben halt Globalisierung, alles ist immer und überall, auch in Deutschland, und Laizismus ist sowieso besser. Tatsache ist natürlich, dass der Islam keine große Rolle spielte in der deutschen Geschichte, höchst interessant zugleich aber auch, wo man ihn unerwartet dort dann doch entdecken kann – zum Beispiel im deutschen Kaiserreich. Davon erzählt auf sehr amüsante Weise der Roman „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“ (Galiani Berlin, Euro 18) von Jakob Hein: Der erste Weltkrieg, den die Deutschen angezettelt haben, zieht sich härter und länger als geplant, die Alliierten sind eben nicht schnell besiegbar. Deshalb denken sich die kaiserlichen Strategen einen – nicht nur aus heutiger Sicht – erstaunlichen Plan aus: Mit Hilfe der Türken, zu denen es gute Verbindungen gibt, soll ein globaler Dschihad initiiert werden, der für die Engländer und Franzosen, so der Plan, weltweit so viele neue Fronten aufreißt, dass sie in Europa entscheidend geschwächt werden und angreifbarer, besiegbarer werden. Im Zuge dieses Plans nun sollen 14 muslimische Kriegsgefangene, arabische Soldaten, die von den Franzosen zwangsrekrutiert wurden, von Berlin nach Istanbul gebracht werden; als Zeichen dafür, wie „gut“ Deutschland zu „den Muslimen“ steht. Das Problem: Wie bekommt man die 14 Männer quer durch Europa transportiert, zum Teil durch zwar neutrale, aber feindlich gesinnte Länder? Besagter Leutnant Stern, der dem Roman den Titel gibt, hat eine Idee: Verkleidet als Zirkusensemble, müsste die Reise machbar sein. Und so machen die Männer sich auf den Weg. Hört sich irre an, eine Schelmengeschichte, auf die man erstmal kommen muss – musste man aber nicht drauf kommen, beruht nämlich auf historischen Tatsachen. Spannend! Und sehr unterhaltsam geschrieben…

Abifeier. Wer Kinder in entsprechendem Alter hat, weiß wo da die Knackpunkte liegen: Erstens die VoFi, die Vorfinanzierung des Ganzen also. Ist schwierig, geht aber meist dann doch irgendwie gut. Zweitens, und entscheidend: Die Tischordnung. Wer warum mit wem wo sitzt, ist schon bei „normalen“ Familien schwierig – bei Patchworkverhältnissen kann sich die Beantwortung dieser Frage zum kleinen Alptraum entwickeln. Zumindest für die Eltern. Zum einen, weil plötzlich kleine Befindlichkeiten ganz große Bedeutung bekommen; Vorbehalte gegen den Expartner der Freundin, der natürlich auch zum Abi seiner Kinder kommt, sowas in der Art. Zum anderen, weil das Ganze nur vermeintlich feste, tatsächlich aber notwendig immer wackelige Patchwork-Konstrukt bei so einem Anlass, an dem sich alles konzentriert, ganz schnell ins Wanken kommen kann. Dann zum Beispiel, wenn – wie in dem Roman „Abifeier“ (Galiani, Euro 17) von Eric Nil – beide Patchwork-Eltern jeweils ein eigenes Abi-Kind haben, so dass möglicherweise an zwei verschiedenen Tischen zwei verschiedene Familien sitzen, die aber im Alltag seit Jahren gar keine Familien mehr sind. Sie repräsentieren etwas nach außen, was längst Vergangenheit ist – die gelebte Gegenwart dagegen findet keine Repräsentation. Und das kann natürlich jede Menge Befindlichkeiten bewirken bei den einzelnen Protagonisten. Genau da liegt allerdings das Problem bei diesem Roman, der nur scheinbar und auf den ersten Blick eine patchworkfamiliäre Problemlage, die viele kennen, eben die Sache mit der Abifeier, locker und unterhaltsam beschreibt: Tatsächlich schleicht sich immer deutlicher auch eine zweite Ebene mit ein in die Erzählung, eben die Befindlichkeitslage des erzählenden Vaters, der einen unglaublich egozentrischen, um nicht zu sagen: narzisstischen Blick auf das Geschehen hat und völlig unfähig ist, seinen Kindern gerecht zu werden, stattdessen mit leicht weinerlicher Note bloß um sich selbst, eben um seine Befindlichkeit kreist. Heftig, die „Kinder“ können einem leid tun. Wie auch immer: Wenn das so gedacht und geplant war, ist „Abifeier“ ein brillantes, böses, kleines Psychogramm. Tatsächlich wirkt das Ganze allerdings so, als habe der Autor, der unter Pseudonym schreibt, bloß leicht und locker eben von der Abifeier und von seinen Patchworkerfahrungen berichten wollen – und Ebene 2 wäre eher unfreiwillig mit „reingerutscht“. Das wäre wirklich bitter, eine Abifeier mit Fremdschämgarantie.

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