Neu aus Italien

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Neu aus Italien

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Hundebesitzer sind im Vorteil. Zumindest waren sie es im Corona-Lockdown im März in Venedig. So wie Damiano Femfert, geboren 1985, Deutsch-Italiener. Eigentlich sollte der junge Mann in Leipzig sein, zur Buchmesse, seinen Debütroman “Rivenports Freund” (Schöffling & Co, Euro 22,–) präsentieren. Stattdessen: Quarantäne in Venedig, strenger Hausarrest – außer ein paar Minuten am Tag zum Gassi gehen. Die nutzte Damiano Femfert, um auch mal sein Buch auszuführen; so bekam man erste Bilder aus der menschenleeren Lagunenstadt samt leicht bedröppeltem Autor mit Hund und Buch zu sehen. “Rivenports Freund” führt in die Nachkriegszeit in Argentinien, in einer weit von allem entfernten Provinz an der Grenze zu Chile taucht ein gedächtnisloser Fremder auf, der örtliche Arzt (und Schmetterlingssammler) Rivenport entwickelte freundschaftliche Gefühle, zugleich quälen ihn zunhemend Fragen, wer dieser Fremde, den alle Kurt nennen, denn nun wirklich sein könnte. Ein Deutsche, das scheint wohl klar – aber ist er nun einer von den “Guten” oder einer von den “Bösen”, die es in der Zeit nach Südamerika verschlagen hat? Und wie viel hat der Mann tatsächlich vergessen? Die Geschichte kreist also nicht zuletzt auch um die Frage, was Freundschaft ausmacht, wenn solch Fragezeichen aus der Vergangenheit mitschwingen. Damiano Femfert taucht ein in dieses Thema, ohne ihm wirklich auf den Grund zu gehen, das überlässt er seinen LeserInnen; sein Buch überzeugt stärker stilistisch als inhaltlich: Ein ausgesprochen souverän und elegant geschriebener Debütroman, das macht große Lesefreude und Lust auf Mehr von diesem jungen Schriftsteller, dann auch gern persönlich mit Lesereise und allem Pipapo.

Wer schon mal über den Reschenpass nach Südtiroll und Italien gefahren ist, kennt dieses Bild, das sich am Reschensee kurz nach der Alpenüberquerung spektakulär bietet: Die obere Hälfte eines Kirchturms ragt aus dem Wasser; der Rest der Siedlung, die dort mal gewesen sein muss, ist verschwunden. Was natürlich Fragen aufwirft und die Phantasie anregt: Wie mag das Leben dort gewesen, bevor der Stausee sich füllte? Und was mag aus den Menschen geworden sein, die das Dorf um den Kirchturm herum verlassen mussten? Fragen, die sich auch der Schriftsteller Marco Balzano stellte, als es ihn in die Gegend verschlug. In seinem Bestseller “Ich bleibe hier” (Diogenes, übersetzt von Maja Pflug, Euro 22,–) liefert Marco Balzano ein paar – mögliche – Antworten; auf Basis von Recherchen und Fakten erzählt er die Geschichte(n) der Menschen in dem Tal – die, wie es meist so ist, belogen und betrogen wurden, als sie ihre Heimat räumen müssen. Zugleich schwingt auch die “größere” Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit, als die Bewohner dieser Region namens Südtirol immer wieder Spielball der Poltik zwischen Italien und Deutschland (und Österreich-Ungarn) waren, sein mussten – und oft persönlich dafür einen sehr hohen Preis zu bezahlen hatten. Ein leicht zu lesender, anrührender, trotzdem kluger zeitgeschichtlicher Roman – der nebenbei auch (einmal mehr) die friedensstiftende Wirkung der Europäischen Union belegt.

Das nennt man doch mal einen angehenden Bestseller: Der Roman “Ein Tag wird kommen” von Giulia Caminito (Wagenbach, übersetzt von Barbara Kleiner, Euro 23) ist in der ersten Auflage schon vor Erscheinen ausverkauft, die zweite Auflage befindet sich bereits in Druck. Zurecht, denn es ist ein wirklich hervorragender Roman. Auch wieder eine zeitgeschichtliche Story, und es geht ebenfalls auch wieder um die den herrschenden Mächten ausgelieferten kleinen Leute, die allerdings gegen dieses Ausgeliefertsein aufbegehren: Giulia Caminito entführt nach Mittelitalien in die Marken, dort träumen zu Anfang des 20. Jahrhunderts einige Aktivisten, häufig Bauernsöhne, von Anarchie und von Gerechtigkeit – auch hier bilden historische Fakten den Grund der Erzählung, außerdem allerdings ein persönlicher Bezug, der Großvater der Autorin war mit dabei in der Bewegung, er musste später das Land verlassen, seine Spuren verloren sich, der Roman ist also auch eine Spurensuche. Sehr beeindruckend, wie Giulia Caminito diese Recherche fiktionalisiert und als Literatur gekleidet hat, in einer Sprache, die genau so rau ist wie das Leben, das sie schildert: Im Kern ihrer Erzählung hat Giulia Caminito ein dreifache Geschwistergeschichte verankert, deren geheimnisvolle Dynamik es auf packende Weise in sich hat, das ist großartig gedacht und gemacht, herausragend.

Plus – kurzer Tipp zum Schluss: Fabio Gedas neuer Roman “Ein Sonntag mit Elena” (hanserblau, übersetzt von Verena von Koskull, Euro 20,–) erzählt von der Begegnung eines Rentners, der früher weltweit als Ingenieur tätig war, mit einer arbeitslosen jungen Frau und ihrem Sohn, eine Begegnung, die für alle Drei etwas ändern wird, eine Momentaufnahme, mit Empathie erzählt, genau und sorgsam gearbeitet, ein kleiner und ein leiser Roman – mehr dazu demnächst an dieser Stelle …

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