Melanie Raabe ist ein gern gesehener Gast, hier bei “Noller liest”, und auch bei “Cosmo”, wo sie zur Zeit häufiger als Corona-Kolumnistin zu hören ist. Unsere Lieblingsbestsellerin, kann man sagen. Und wie fing das an, mit ihrer Erfolgsgeschichte? Genau, mit dem Roman “Die Falle”, erschienen 2015, ein etwas älterer Bestseller also, der in Corona-Quarantäne-Zeiten allerdings nochmal eine ganz neue Aktualität gewinnt: Melanie erzählt in dem Roman die Geschichte einer Frau, die seit 11 Jahren ihr Haus nicht mehr verlassen hat, nachdem ihre Schwester von einem Unbekannten ermordet wurde. Den erkennt Linda Conrads jetzt wieder – und zwar als Reporter im Fernsehen. Sie beschließt, ihm eine Falle zu stellen, weiter ohne das Haus zu verlassen, er ist nun allerdings auch nicht ganz dumm – in die Richtung verläuft dann die Geschichte. Meine Empfehlung wäre, das Hörbuch zu hören, Birgit Minichmayr und Devid Striesow haben die Geschichte klasse interpretiert. (der Hörverlag, Euro 9,99)
Bei der Gelegenheit: Was für ein Bild! – auch zum Leben in Corona-Zeiten:
Ganz oben auf der Spiegel-Bestsellerliste gab´s in den letzten Wochen einen Zweikampf um den Corona-Bestseller schlechthin. Mal war der Schotte Martin Walker mit seinem zwölften Bruno Chef de Police-Frankreich-Wohlfühlkrimi “Connaisseur” (Diogenes Verlag, Euro 24,–) – mal die Amerikanerin Delia Owens mit ihrem Überraschungsbestseller “Der Gesang der Flußkrebse”, in dem sie mit viel Natur drumherum die Geschichte eines Mädchens erzählt, das in einem Marschland weitab von allem ganz allein, ohne Eltern also, aufwachsen muss. Überraschungsbestseller deshalb, weil keiner ahnen konnte, dass das “Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhandlungen 2019” sich derart lange derart weit oben platzieren könnte. Hier kann man ebenfalls auch zum Hörbuch greifen, wunderbar gelesen von Luise Helm (Hörbuch Hamburg, Euro 16,95)
Apropos karges Leben, nahe an der Natur, gezwungenermaßen: Das war nicht ganz so weit weg, in den Alpen, ja auch noch eher selbstverständlich als die Ausnahme, damals, vor dem Toursimus-Wohlstand. Wie hart und karg es insbesondere für Frauen gewesen sein kann, davon erzählt die österreichische Schriftstellerin Monika Helfer in ihrem schmalen Roman “Die Bagage” (Hanser, Euro 19) auf beeindruckend reduzierte Weise: Ein Jahrhundertroman auf 159 Seiten, vier Frauen aus vier Generationen stehen im Fokus, insbesondere aber Maria, die Urgroßmutter, der dieses Buch (als junge Frau) ein Denkmal setzt. Die eigene Großmutter, muss man dazu sagen, denn Monika Helfer erzählt eine prototypische Geschichte, die doch zugleich auch die ihrer Familie ist – sie ist also eine der vier Frauen. Ein großartiges kleines Buch, es lässt Welten leben, in der Erzählung und jenseits des Erzählten, voller Wahrhaftigkeit. Das gilt insbesondere auch für die vierte Frau in der Reihe der Generationen: Paula Köhlmeier, Monika Helfers Tochter, sie galt als eines der interessantesten Talente der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, als sie mit 21 Jahren bei einer Wanderung in den Bergen ums Leben kam; ihr Leben muss (fast) ungeschrieben bleiben, trotzdem ist sie in dieser Geschichte aus den Bergen die ganze Zeit über – schmerzlich – präsent, inbesondere auch im Ungesagten, Ungeschriebenen.
Ganz andere Zeit und GAANZ anderes Leben: Einen fetten Hype gibt´s derzeit um den Roman “Allegro Pastell” von Leif Randt (Kiepenheuer & Witsch, Euro 22,–). DER Roman der Generation Y, heißt es allerorten; darum komme jetzt keiner mehr herum, der aktuelle Millenial-Literatur schreiben wolle, kommentierte ein Kritiker, der auch meinte, dieser Roman könne möglicherweise sogar eine Jugendbewegung auslösen. Es geht um die Liebesgeschichte eines jungen Frankfurter Webdesigners mit einer top angesagten Berliner Jungschriftstellerin, der die Story des Romans in allen Irrungen und Wirrungen folgt. Die beiden sind super hip und in jeder Hinsicht immer ganz vorne, analog und digital – und sie haben das, was sie sein wollen, im “echten” Leben, aber auch im digitalen Raum, jederzeit voll unter Kontrolle. Und sie gehen damit wie mit sich selbst und miteinander ausgesprochen achtsam um; selbst der Kontrollverlust, der in jeder Beziehung (und in jedem Leben) vorkommen muss, steht irgendwie unter Kontrolle, bei den beiden. Eine Geschichte also wie aus einer virtuellen Realität. Eine “schöne” “Liebesgeschichte”, die allerdings entsprechend auch ein Problem hat: Sie ist eine Wohlstandsstory durch und durch, aktuelle “Problem”-Themen wie soziale Ungleichheit, der Klimwawandel oder auch Migration spielen keine Rolle – ein Roman jenseits aller Politik. Das bleibt außen vor, in dieser dann doch allzu “sauberen” Geschichte. Was insbesondere in Zeiten von Corona auch merkwürdig anmutet. Den Millenials, die ich kenne, ringt dieser Ansatz jedenfalls nur ein müdes Lächeln ab, sie interessieren sich nicht für ein staub- und keimfreies Leben mit jeder Menge Befindlichkeit in der Wohlstandsblase, sondern für: die Welt. Insofern: Dann doch nicht “der” Roman für “die” Generation Y. Trotzdem: Ein interessanter Versuch zur Frage, wie Liebe auch gehen kann in dieser Zeit, an der Schwelle zur virtuellen Realität – und ja, auch eine irgendwie “schöne” Liebesgeschichte.