Reisen (im Kopf) – mit Joseph Incardona

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Reisen (im Kopf) – mit Joseph Incardona

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Wir fahrn, fahrn, fahrn – auf der Autobahn. Was da, nebenbei, so alles geschehen könnte? Der Schweizer Schriftsteller Joseph Incardona hat mit „Asphaltdschungel“ (Lenos Polar, Euro 22,–, übersetzt von Lydia Dimitrov) aus diesem Gedanken einen exzellenten „französischen“ Roman geschrieben – „französisch“, weil die Geschichte nicht nur komplett auf Frankreichs Autobahnen angesiedelt ist, zwischen Rasthöfen, Parkplätzen, Randgefilden und natürlich den Trassen. Und auch deshalb, weil dieser Roman stilistisch sehr „französisch“ gehalten ist, also ein tiefschwarzer, radikal erzählter und montierter Noir, der in Hochgeschwindigkeit voran rast und vor keinem Abgrund Halt macht. Worum es geht: Auf den Autobahnen verschwinden weibliche Teenager; der Vater eines dieser Mädchen gibt alles auf und bleibt auf der Straße, für Monate, auf der Jagd; die Polizei nimmt den Gedanken, es könne sich um eine Serie an Vergewaltigungen und Morden handeln, erst sehr spät so ernst, dass auch in diese Richtung ermittelt wird. Und der Täter? Auch er lebt oder arbeitet auf der Autobahn, irgendwo; und die Frage ist, ob er sich von irgendwem ermitteln lässt, bevor das nächste von der langweiligen Fahrt mit den streitenden Eltern genervte Mädchen an irgendeinem Rastplatz an der Reihe ist. Abgesehen davon, hat die Autobahn samt ihres Umfelds noch jede Menge andere Geheimnisse und Geschichten zu bieten, man muss nur genau hinschauen, so wie Josef Incardona …

Für alle, die sich auch ohne Corona niemals einen Karibik-Urlaub leisten können werden, könnte “One-Way-Ticket ins Paradies” vom Schweizer Joseph Incardona(Lenos Verlag, Euro 22,–) ein guter Tipp sein: Für eine neureiche Bankiers-Besserverdienenden-Familie wird so ein Karibik-Trip ins abgelegene x-Sterne-Luxusresort zum XXL-Horrortrip, das ist die im Grunde ganz simple Geschichte. Interessant ist, wie sie angelegt, erzählt und schließlich auch abgeschlossen wird: Als Abgesang auf den neoliberalen Luxus-Wahn, der letztlich an sich selbst ersticken muss, weil er “die Welt” in seinem unendlichen Streben nach Mehr aus den Augen verliert. Zuzuschauen, wie Joseph Incardona das erzählt, macht größten Spaß, insbesondere auf Balkonien oder am heimischen Baggerloch: Eine kleine, böse, tiefschwarze Geschichte, die alles in Frage stellt, ein abgründiger Noir reinsten Wassers.

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