Deutschland und Südkorea, das war in literarischer Hinsicht bislang eine einseitige Beziehung: Sehr viel Deutsches wird ins Koreanische übersetzt, eher wenig umgekehrt. Das scheint sich nun zu ändern, ein wenig zumindest.
Frischestes Beispiel: Der Roman „Der Riss“ von Hye-Young Pyun (btb, übersetzt von Ki-Hyang Lee, Euro 18,–). Die Rede von der bösen Schwiegermutter gibt’s vermutlich global verbreitet, dieser Roman variiert sie in einer wirklich BÖSEN Geschichte: Der Geographie-Professor Ogi wacht im Krankenhaus auf, so beginnt es, nach und nach realisiert er, dass er einen Autounfall hatte, bei dem seine Frau starb – und dass er selbst weitgehend gelähmt ist. Ein Zustand, an dem sich nicht mehr viel ändern wird, so zeigt sich trotz anfänglicher Hoffnung. Weil Ogi keine sonstigen Verwandten hat, bekommt seine Schwiegermutter die Vormundschaft, und sie ist auch für seine Pflege zuständig; die beiden sind nun aneinander gefesselt bis im wahrsten Sinne bitteren Ende. Sehr straff und konzentriert erzählt Hye-Young Pyun, wie es Ogi ergeht mit seiner pflegenden Schwiegermutter, zugleich blickt sie Schritt für Schritt auf Ogis früheres Leben zurück, also auch auf das der Frau, die er aus dem Leben verunfallt hat, die Tochter seiner Schwiegermutter. Was der neuen Konstellation, sagen wir, doch eine besondere Würze verleiht. Spannende Konstellation, gewitzte Verdichtung des Themas „Abhängigkeit“ – ein Roman, der das Grauen und die Abgründe, die in alltäglichen Beziehungen lauern, auf ganz und gar ungewöhnliche Weise durchmisst.
Wenn Südkorea mehr und mehr ein Thema wird auf dem hiesigen Buchmarkt, dann ist das wohl vor allem der Schriftstellerin Han Kang zu danken – ihr Roman „Die Vegetarierin“, 2016, neun Jahre nach dem Erscheinen in Südkorea, ausgezeichnet mit dem wichtigen Man Booker Prize, war ein Welterfolg und Türöffner, eben auch nach Deutschland. 2017 erschien dann „Menschenwerk“, die erschütternde Aufarbeitung eines Massakers an Demonstrierenden in Han Kangs Herkunftsstadt Gwangju, Besprechung siehe hier.
Und nun „Deine kalten Hände“ (Aufbau Verlag, übersetzt von Kyong-Hae Flügel, Euro 22), ein früheres Werk, das in Südkorea bereits 2002 erschien, damals war Han Kang gerade mal Anfang 30. In dem Roman erzählt sie die Geschichte eines Bildhauers, der manisch an Plastiken menschlicher Körperteile arbeitet – und zugleich die seiner Beziehungen. Im Zentrum steht dabei eine stark übergewichtige Frau mit jugendlicher Mißbrauchserfahrung, die wegen ihrer Figur stigmatisiert wird, deren Hände den Künstler aber so faszinieren, dass er sich über diesen „Zugang“ in die Frau verliebt. Die Folge: Eine impulsive On/Off-Beziehung; geprägt insbesondere durch, sagen wir, gebrochene Körperlichkeit. Ein Künstlerroman also – und eine Untersuchung in Sachen Körper: Ist er nur eine Maske? Was steckt dahinter? Gibt es überhaupt so etwas wie eine Distanz – oder Masken hinter Masken, die im Kern das Nichts verbergen? Und wie hinterlässt das Leben Spuren im Körper, als Blessuren und Narben, die wiederum weitere Spuren im Leben hinterlassen werden? Damit auch: Welche Verbindungen herrschen zwischen Körper, Geist und Seele? Diesen und ähnlichen Fragen spürt Han Kang in ihrem auf elegante Weise nüchtern formulierten Roman nach; der zugleich auch von der Schwierigkeit erzählt, nicht an Beziehungen zu scheitern, die nur scheitern können, mit all den Lasten der Vergangenheit, die der Körper birgt. Zugleich klingt bei den weiblichen Charakteren auch schon ein wohl zentrales Thema an, das Han Kang in „Die Vegetarierin“ 2007 dezidierter ausführte: Die Radikalität, die es für Frauen braucht, um sich der patriarchal geprägten Gesellschaft so zu entziehen, dass ein selbstbestimmtes Leben möglich ist.
Zuletzt bei der Gelegenheit noch einmal der Hinweis auf zwei ausgesprochen lesenswerte aktuelle Kriminalromane aus Südkorea: „Der gute Sohn“ von Jeong Yu-heong und „Dein Schatten ist ein Montag“ von Jung-hyuk Kim – Besprechung siehe hier …