Auf den Bestsellerlisten gibt´s derzeit jede Menge Hin und Her und Rauf und Runter – Ferdinand von Schirach, der schreibende Anwalt, war allerdings jetzt einige Wochen lang stabil on Top mit seinem Band “Kaffee und Zigaretten”(Luchterhand Verlag, Euro 20,–): Eine Sammlung aus einigen Dutzend Skizzen, Anekdoten, Kürzestgeschichten, Reflexionen im üblichen von Schirach-Stil, reduziert, lakonisch, auf nüchterne Weise empathisch. Ein großer Teil der Texte ist autobiographisch unterfüttert, erzählt von Begebenheiten an bestimmten Lebensstationen des Autors, mitunter wird es aber auch sehr direkt sehr persönlich, da ist dann von jugendlichen Depressionen, von der Hypothek, aus einer NS-Täterfamilie zu stammen und Ähnlichem die Rede. Manche der Geschichten bleiben blass, andere glänzen und glitzern, manche erschüttern; wie immer sehr, sehr elegant das Ganze, typisch Ferdinand von Schirach – der einzig legitime Letzte der Existenzialisten …
Einer, der zuletzt große Sprünge nach oben gemacht hat, zumindest auf der “Spiegel”-Bestsellerliste, ist Saša Stanišić, mit seinem neuen Buch “Herkunft” (Luchterhand Verlag, Euro 22,–). Auch er spürt seinen Wurzeln nach, seinen Prägungen, eben der Herkunft. Wobei das in diesem Fall (mindestens) in doppeltem Sinne zu verstehen ist: Saša Stanišić kam 1978 in Bosnien zu Welt, 1992 flüchtete die Familie nach Deutschland, einn neues Zuhause fanden sie, zumindest vorübergehend, nahe Heidelberg. Eine Doppelprägung also, zwei Herkünfte, verschiedene Wurzeln, eine Kindheitserinnerung, ein jugendlicher Zweitstart. Dem spürt Saša Stanišić nach, nicht bloß in Recherchern, Erinnerungen, Geschichten, sondern auch sprachlich virtuos, mit der ganzen Kraft seiner Ausdrucksfähigkeit – und die ist immer wieder extrem beeindruckend insbesondere dann, wenn man bedenkt, dass der Autor kaum ein paar Worte Deutsch sprach, als es ihn Anfang der 1990er Jahre hierhin verschlug.
Interessant übrigens, was man am Rande erfährt: Saša Stanišićs Eltern mussten Deutschland verlassen, als sich die Kriegssituation in Visegrád nach dem Krieg normalisiert hatte, sie migrierten weiter in die USA. Stanišić selbst konnte auch nur deshalb bleiben, weil eine Mitarbeiterin des Ausländeramtes nach Lösungen suchte, um das zu ermöglichen. Ein Glück für ihn, denke ich mal – vor allem aber auch eines für die deutsche Literatur, die ohne diese Stimme ein erhebliches Stück ärmer wäre.
Apropos Deutsch lernen: Vermutlich tut sich ein Jugendlicher aus dem ehemaligen Jugoslawien leichter als ein schon etwas älterer junger Mann, der, sagen wir, aus Badgad kommt. Bzw. den es eher zufällig hierhin verschlagen hat. Was für ein Kampf und Krampf es sein kann, die deutsche Sprache als Einwanderer lernen zu müssen, davon erzählt der Deutsch-Iraker Abbas Khider in seinem Buch “Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch” (Hanser Verlag, Euro 14,–) auf die ihm eigene gewitzte, lebenslustige Weise, verbunden mit Erlebnissen und Anekdoten aus seinem nicht immer ganz so lustigen Leben als Einwanderer. In AfD-Kreisen war dieses Buch zuletzt ein gut gehasster Diskussionsgegenstand – weil Khider sich nicht bloß dezidiert mit den Tücken (also: vor allem mit der Grammatik) dieser erstmal eher unzugänglichen Sprache auseinandersetzt, sondern sich vielmehr auch den Spaß erlaubt, ein neues Deutsch zu erfinden, dass es zukünftigen Einwandern leichter machen soll, sich zu verständigen. Ein Spaß, wie gesagt, augenzwinkernde Ironie – aber damit kann man in identitären Kreisen wohl eher nichts anfangen, speziell wenn sich ein Einwanderer diesen Scherz erlaubt. Wie auch immer: Amüsante Unterhaltung für Leser ohne Brett vorm Kopf. Ambivalente Erinnerungen an die Schulzeit außerdem, denn Abbas Khider geht richtig hinein, in die Strukturen der Sprache. Und ein Buch mit Mehrwert: Man ist am Ende heilfroh, wie man auf Deutsch so sagt, dass man diese Sprache in die Wiege gelegt bekam – und sie nicht erst als Erwachsener mühsam, mühsam, mühsam erlernen musste.