Mitunter geraten einem ja Romane ins Visier, die man allein schon wegen ihres Titels kaufen “muss”, passiert selten, zugegeben, aber kommt durchaus vor. Bei Usama Al Shahmanis “Im Fallen lernt die Feder fliegen” (Limmat Verlag, Euro 24,–) finden sich aber schnell noch ganz andere Gründe, die diesen Kauf rechtfertigen, weil der Schweizer nicht nur eine spannende Geschichte entfaltet, sondern diese auch noch sehr gut erzählt, was vor allem auch deshalb bemerkenswert ist, weil Al Shahmani aus dem Irak stammt und auf Deutsch schreibt. Faszinierend, ähnlich wie bei Abbas Khider, wie jemand einen solchen Sprachwechsel aus dem Arabischen ins Deutsche hinbekommt – und zwar so souverän, dass er sich im Deutschen dann offensichtlich auch noch als Schriftsteller so gewandt bewegen kann wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser.
Usama Al Shahmani erzählt von einem jungen Paar, Daniel und Aida, er Schweizer seit jeher, sie Schweizerin mit Wurzeln im Irak. Und genau das ist das Thema: In der Beziehung kriselt es, weil sie immer dann, wenn es um ihre Lebensgeschichte geht, einsilbig bis schweigsam wird, sie möchte überhaupt nicht darüber sprechen. Das irritiert Daniel und kränkt ihn. Weil er sowieso noch einen Teil seines Zivildienstes ableisten muss, wählt er einen Einsatzort weitab von allem in den Bergen, um sich eine Auszeit zu nehmen. Während der Zeit, in der er weg ist, bleiben wir LeserInnen bei Aida; sie beginnt sich zu öffnen, zunächst einmal sich selbst, also uns gegenüber. Und so erfahren wir ihre “Fluchtgeschichte”: Mit den Eltern waren Aida und ihre Schwester schonmal in der Schweiz. Der Vater hielt es nicht aus, die Familie kehrte in den Irak zurück. Da wiederum sahen die Töchter so niederschmetternde Perspektiven, dass sie beschlossen, noch einmal in die Schweiz zu flüchten, heimlich, ohne die Eltern. Und Nosche, der Schwester, ist im Rahmen dieser zweiten Flucht etwas zugestoßen – ein schweres Trauma für Aida …
Usama Al Shahmani, geboren 1971, musste wegen eines kritischen Theaterstücks den Irak verlassen, er lebt seit 2002 in der Schweiz. Man darf annehmen, dass auch autobiographische Erfahrungen in seinen Roman eingeflossen sind; zugleich enthält “Im Fallen lernt die Feder fliegen” auch viele prototypische Momente. Ein männlicher Erzähler mit weiblicher Hauptfigur, das macht in dem Fall deshalb Sinn, weil sich so bestimmte Erfahrungen und Dilemmata, die mit solchen Fluchterfahrungen zusammenhängen, noch mal forcierter zeigen lassen. Insbesondere die Konsequenzen, dieser eigentlich unglaublichen – und ungeheuer mutigen – Entscheidung, alles hinter sich zu lassen, um ein anderes, ein freieres Leben in einer Fremde zu führen, die niemals wirklich Heimat werden kann, weil ein Stück Fremdheit immer bleibt. Das ist es wohl, was Aida verstummen ließ, was die eigene Geschichte angeht. Nur schweigend kann sie verhindern, zerfetzt zu werden von dem Riss, der durch ihr Denken und Fühlen geht. Genau das ist es aber zugleich, was auch Hoffnung macht – denn möglicherweise wird sie sich irgendwann ja nicht nur uns, sondern auch Daniel gegenüber öffnen können, schließlich lernt die Feder gerade im Fallen das Fliegen, es bleibt ihr ja gar nichts anderes übrig …