Valentinstag bei den Yücels

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Valentinstag bei den Yücels

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„Wir sind ja nicht zum Spaß hier.“ Einige „Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte“ von Deniz Yücel – erscheinen heute, zum Valentinstag, in der Edition Nautilus.

Genau genommen sind es ja nur fast ausschließlich Texte des in der Türkei inhaftierten Journalisten, die der Band versammelt – einer, der letzte, stammt von seiner Frau Dilek Mayatürk Yücel, eine Art Liebesgedicht, passend zum Valentinstag:

Reden heißt, einen ganzen Schwarm Vögel fliegen zu lassen. Schreiben hingegen heißt für mich, du weißt es, geschulte Tauben loszuschicken. So fängt es an – und so endet es: Heute sind alle meine Tauben unterwegs. Nur eine habe ich noch in der Hand, und die schicke ich dir. „Wo auch immer du bist, strecke dein Haupt. Denn wir sind unter demselben Himmel. Strecke dein Haupt. Denn Deniz, mein Herz, unsere Himmel können sie nicht trennen.“

Tja, der Valentinstag. Der Tag, an dem Deniz Yücel verhaftet wurde, genau vor einem Jahr; der Tag, an dem dieser Band mit seinen und ihrem Text erscheint, heute. Für die Yücels wird es wohl nie mehr nur „der Valentinstag“ sein, davon kann man ausgehen; geheiratet haben die beiden im Gefängnis; eine Ehe durch die Trennscheibe, die zwar weit nach oben, bis an die Decke, wohl aber doch nicht bis in den Himmel reicht.

Wie mag sich das anfühlen, so eine politisierte Liebesheirat eingehen zu müssen, überstürzt, ohne Freunde, in Räumen mit Gittern und Trennscheiben, vor Vollzugsbeamten? Seine Frau ist es, vor allem, die Deniz Yücel Kraft verleiht, das wird zwischen den Zeilen der neueren Texte mehr als deutlich.

Diese neueren Texte – sind erstaunlich: Dass sie, wohl über die Anwälte, überhaupt nach draußen und in die Öffentlichkeit gelangen konnten. Anfangs hatte Deniz Yücel nichts zu schreiben; bei einem Arztbesuch schnappte er sich heimlich einen Kugelschreiber, Papier war da, Bücher sind erlaubt im Gefängnis, er schrieb auf die Seiten der türkischen Ausgabe des „Kleinen Prinzen“. Kleine Skizzen, Lageberichte, Gefängnisalltag – von einem, dem es überraschend gut gelingt, einigermaßen durchzuhalten.

Die älteren Texte, die zum großen Teil in der taz und in der Welt erschienen sind, für die Deniz Yücel jahrelang bis zur seiner Verhaftung geschrieben hat – ihre Lektüre ist auch dann interessant, wenn man sie hier und da „damals“, im Lauf der Berichterstattung schon gelesen hatte: Yücels spitze Feder macht auch beim zweiten Mal Spaß – und so zusammengefasst in einem Band, im Überblick, meint man eine Entwicklung feststellen zu können: Je eingehender der Korrespondent sich mit der Situation in der Türkei beschäftigt hatte, desto, sagen wir, souveräner und reifer wirkten seine gleichwohl gleichermaßen spitzen Texte.

Gebrauchstexte für den Augenblick, das betont Deniz Yücel explizit, und so steht es ja auch im Titel, aber man fragt sich schon: Wie wäre es wohl, wenn dieser Autor sich mal literarisch versuchen würde? Deniz Yücels Geschichten wohnt so ein Moment, finde ich zumindest, häufig durchaus inne.

Wie auch immer: Mal schauen, was von diesem Mann kommen wird, wenn er, möglichst vor dem nächsten Valentinstag, wieder so frei ist, jeden Tag nach Lust und Laune ganz und gar im Himmel zu versinken, zusammen mit den Tauben – und seiner Frau, seiner Geliebten…

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