Seit man Corona in unseren Breiten nicht mehr ignorieren kann, hat sich zu zwei Freunden der Kontakt massiv intensiviert. Da ist Gerdjan aus den Niederlanden, ein Jura-Dozent aus Tilburg und da ist Manuel, mein alter Schulfreund, der tatsächlich Wissenschaftler ist – so mit echter Forschung und so weiter – und in England lebt.
Über das Internet kriege ich, der Journalist, von beiden immer gute Infos aus den beiden Ländern und wir diskutieren kontrovers. Dabei fliegen Studien durch den Raum, werden statistische Kennzahlen ausgetauscht, Schlüsse aber meist nicht gezogen, weil das mit dem Virus einfach zu kompliziert ist.
Die Superspreader aus dem Sandkasten?
Warum ich hier Teile meines Freundesnetzwerks ausbreite? Weil die beiden den Input für eine gewichtige Frage liefern: Wie gehen wir mit den kleinen Kindern in der Corona-Krise um? Seit die Bilder aus Nord-Italien die europäische Politik aufschreckten, gilt eine Erkenntnis: Gerade die Kleinsten können Oma und Opa gefährden. Sie sind genauso infektiös wie wir, nur meistens ohne Symptome und halten Hygiene- und Abstandsregeln nicht ein. Wie denn auch? Von der Betreuung im Homeoffice geplagte Elten können Bücher über tobende Kinder schreiben.
Entsprechend wurden Kitas und Schulen geschlossen, die Perspektive auf eine reguläre Wiedereröffnung ist so düster wie die für Großveranstaltungen. Kinder sind sogenannte “Superspreader” und damit potentiell gefährlich für eine ungebremste Verbreitung. Seit Beginn der Corona-Maßnahmen ist dies scheinbarer Konsens, und so mussten die Kinder mit uns allen in die soziale Isolation.
Erste Zweifel an der Gefahr durch Kinder
Inzwischen kann man hinter diese Gewissheit ein leichtes Fragezeichen setzen. Da ist zum Beispiel Eckhard Nagel, der Bayreuther Medizinprofessor, der darauf verwies, dass er keine Hinweise dafür habe, dass die Kinder das Virus verstärkt weiter geben. Nagel gehört eigentlich zu denen in der Corona-Debatte, der die harten Maßnahmen verteidigt. Womit wir zu Gerdjan in den Niederlanden kommen.
Ich hatte eine Untersuchung des “Rijksinstituut voor Volksgezondheiden Milieu” (RIVM) gefunden. In dem Zwischenbericht kommt das niederländische Pendant unseres Robert-Koch-Instituts zu dem Schluss, Kinder spielten bei der Verbreitung von Covid 19 eine untergeordnete Rolle. Sie würden das Virus auch nicht zwingend weitergeben, sie steckten sich bei uns Erwachsenen an und nicht umgekehrt. Grundlage waren Studien – wie eine nicht ganz unumstrittene aus Island – und eine eigene Datenbasis. Für die niederländische Regierung ist das eine ausreichende Grundlage, die Kindergärten nach den Ferien im Mai wieder halbwegs zu öffnen.
Keine gute Datenbasis für Kitas und Spielplätze
Nun spielt unser Nachbarland in der Corona-Geschichte auch nicht unbedingt eine rühmliche Rolle, also rief ich in Großbritannien bei Manuel an. Ob er mal schauen könne, was es im “Google der Wissenschaft” an aktueller Forschung gebe? Nicht viel, aber ein paar Sachen fand er dann doch. Wir lasen gemeinsam und stellten fest, dass es einen Trend gibt, dass Kinder nicht die große Rolle spielen. Aber die Datenbasis ist noch dünn, es gibt auch starke Gegenmeinungen, bei denen es aber hauptsächlich darum geht, wie schwer Kinder erkranken können. Alles schwierig. Auf dieser Basis würde ich keine politische Entscheidung treffen wollen.
Vollends aufgeschreckt wurde ich aber, als der Chefvirologe der Berliner Charité und wahrscheinlich auch des ganzen Landes, Christian Drosten, in einem bemerkenswert gut vorbereiteten ORF-Interview sehr deutlich formulierte, es sei “langsam nicht mehr erträglich”, dass wir wissenschaftlich nicht mehr Forschung über das oben genannte Problem betreiben. Auch Drosten ließ durchschimmern, es könnte womöglich eine Trendumkehr bei der Annahme zu Corona und Kindern geben.
Stamps Stimmungswandel und die Hoffnung der Eltern
Und damit komme ich dann endlich zur landespolitsichen Ebene der ganzen Sache. Ich war einigermaßen überrascht, dass plötzlich Familienminister Joachim Stamp (FDP) am Sonntag (26.04.2020) auf einmal einen größeren Spielraum bei der Kita-Öffnung sieht – wo er noch zu Wochenbeginn eher die Hoffnung für geplagte Eltern gedämpft hatte.
Es war binnen Tagen – nicht nur bei Stamp – eine plötzliche Verschiebung der Haltung zu erkennen. Inzwischen scheint greifbar, das zumindest die Spielplätze wieder öffnen. So zumindest klingen die Zwischentöne. Die Politik scheint den Fokus auf die zu verlagern, die in der Corona-Debatte bisher tatsächlich ganz hinten an standen: Kleine Kinder, die anfänglichen “Superspreader”, bekommen plötzlich eine Lobby.
Akzeptanz für Maßnahmen ist wichtig
Die sie vielleicht zu spät bekommen. An der Frage der Kleinsten entscheidet sich für mich nämlich diese ganze Pandemie. Wir haben Läden und Einrichtungen geöffnet, von denen wir nicht wissen, was das für die Infektionsrate bedeutet. Wir haben eine Debatte um Lockerungen, die in Schwarz-Weiß-Schablonen abdriftet. Auch weil die vielleicht wichtigen Impulse eines Exit-Befürworters wie Armin Laschet (CDU) von unangenehmen Begleiterscheinungen wie der PR um die sogenannte Heinsbergstudie oder eines Expertenrates mit Parteispendern begleitet wird. Das Eis wird zumindest dünner.
Die politisch Handelnden haben aktuell die Akzeptanz für Kennziffern und Maßnahmen, deren Nutzen umstritten ist. Die statistische Validität von Reproduktionszahlen oder Verdopplungszahlen steht – auch jenseits von AfD-nahen Besserwissern – auf nicht sehr festen Füßen. Die Maskenpflicht ist mehr eine Geste als wissenschaftlich belegte Hilfe. Aber das ist alles egal, die Pandemie ist gefährlich, sie bedroht Bevölkerungsgruppen und die Politik muss handeln, was richtig ist.
Am falschen Ende gelockert?
Aber da ist die Frage über den Umgang mit den Kindern eine inzwischen eine gewichtige. Die ganzen Debatten um Lockerungen, der föderale Wettlauf um den richtigen Weg hat Rollen und Bilder manifestiert, die politisch irgendwann an Zustimmung verlieren. Weil es oft nicht konsistent ist. Googeln sie doch mal, welche Maske in welchem Möbelhaus unter welchen Bedingungen an der Haltstelle getragen werden muss. Das Ergebnis wird so verwirrend wie dieser nicht ganz ernst gemeinte Satz. Nicht auszudenken aber ohne Polemik, was passiert, wenn am Ende rauskommt ein monatelanges Betretungsverbot (übrigens: Was für ein Wort für eine kindliche Einrichtung?!) war überflüssig. Diesen politischen Schaden werden alle Seiten zu spüren bekommen , egal ob “Team Wirtschaftslockerung” oder die von der “Lockdown-Truppe”.
Populisten scharren mit den Hufen
In dieser Debatte um Kitas (auch Grundschulen) und Spielplätze liegt also eine große Chance und Gefahr – das ist übrigens der Konsens in meinem oben erwähnten Freundeskreis: Es muss schnell geforscht werden! Die Politik – vor allem die in NRW mit dem großen Ballungsgebieten – muss eine Frage an die Wissenschaft stellen und die muss eine nachvollziehbare Antwort geben, selbst wenn es am Ende heißt, Kinder bleiben wahrscheinlich eine große Ansteckungsgefahr für Risikogruppen – zumindest hätte man etwas mehr Klarheit und ehrliches Bemühen. Es würde die Akzeptanz der Politik stärken. Bleibt das jedoch aus, und geht das Thema im Diskurs über wirtschaftliche Lockerungen weiter unter, wird es einen immensen politischen Flurschaden geben. Populisten aller Richtungen scharren schon mit den Hufen…
2 Kommentare
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Was heißt, es muß schnell geforscht werden? Warum nehmen wir nicht Schweden mit ununterbrochen geöffneten Kitas und Schulen als gutes Beispiel und Vorbild heran, wie es gehen kann? Und wir sollten uns von “Experten” wie Rezo nicht verunsichern lassen, sondern fragen, mit welchem Recht diese ihre Behauptungen in die Welt hinausblasen!
Nach der Kita muss es doch nicht unbedingt zu Oma und Opa und auch auf dem Spielplatz könnte man den Eltern gut selbst die Verantwortung einräumen ( was ja zum Glück auch bald passieren soll ) ….
Ich verstehe das ganze Theater un Kita und Grundschulen eh nicht . Eltern denen es zu risikoreich ist ihre Kinder hin zu schicken sollten diese Zuhause lassen dürfen und diese die ihem Immunsystem trauen sie eben hin schicken dürfen !