Wie sich SPD und Grüne in NRW entfremden

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Wie sich SPD und Grüne in NRW entfremden

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Neulich sagte mir ein Mensch aus dem Umfeld von SPD und Grünen, dass es bald ‘ne neue Pizza-Connection braucht, wenn es so weiter ginge. Was er meinte? In den 90ern gab es regelmäßige Treffen zwischen progressiven CDUlern und Grünen Realpolitikern, um bei einer Pizza überhaupt erst einmal ins persönliche Gespräch zu kommen. Es waren die ganz frühen Anfänge schwarz-grüner Bündnisse, als die Gräben zwischen Konservativen und Öko-Partei noch unüberbrückbar erschienen.

Jetzt aber bräuchte es mehr als nur Pizzen für die letzten Rot-Grünen, die noch an eine eventuelle Zusammenarbeit glauben, wenn es die Wahlergebnisse in NRW wieder hergeben sollten. Und dass, obwohl man seit gerade mal anderthalb Jahren getrennte Wege geht. Zuvor war man im Landtag 27 Jahre in selber Rolle: Entweder regierte man gemeinsam oder man saß zusammen in der Opposition. Trotz Unterschieden in der Energiepolitik oder bei der Industrie und einigen Scharmützeln: Am Ende kam man irgendwie immer zusammen.

Es gab schon vorher immer Geruckel

Natürlich gehört zur Wahrheit auch: Nicht erst seit heute bröckelt das Verhältnis. Wolfgang Clement fuhr einst mit dem damaligen FDP-Chef Möllemann Rolltreppe, um zu zeigen: Ich kann auch mit der FDP regieren. Und nach der Landtagswahl 2010 gehörten einige Grüne zu den eifrigsten Nachzählern, als in Köln chaotisch ausgezählt wurde und man eventuell doch ein Mandat mehr als die SPD geholt hätte. Es hätte eine schwarz-grüne Mehrheit möglich gemacht. Am Ende reichte es nicht – aber wenn doch: Es gab durchaus Grüne, die sofort zu Jürgen Rüttgers gerannt wären, um dem gestrandeten CDU-Ministerpräsidenten eine neue Mehrheit zu ermöglichen. Die Geschichte kam jedoch anders, es folgten weitere sieben Jahre Rot-Grün unter Hannelore Kraft.

Diese Vorgeschichte ist wichtig, um zu verstehen, dass es immer schon Friktionen zwischen SPD und Grünen gab. Vor allem hier an Rhein und Ruhr, wo Kohle und Stahl für die SPD stilbildend waren und sind, während die Grünen natürlich gerade hier immer stärker den Umweltschutz betonten.

Per “Du” zum Bruch

Aber seit Schwarz-Grün regiert, ist der Ton ungewohnt. Das war schon kurz nach dem Start der neuen Landesregierung auffällig. Da kofferte im vergangenen November Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer ihren damaligen SPD-Amtskollegen, Thomas Kutschaty, in der Haushaltsdebatte deutlich an. “Bei aller persönlichen Wertschätzung, die ich für dich habe, bin ich wirklich froh, dass du nicht mit am Verhandlungstisch in Berlin sitzt”, sagte sie in den Haushaltsdebatte und meinte damit klar, dass sie froh sei, dass Kutschaty nicht Ministerpräsident geworden sei.

Dieser Auftritt im vertrauten “Du” war ein erster deutlicher  Bruch. Weitere folgten. So werfen Grüne der SPD beständig vor, sie rede populistisch, wenn sie davon sprechen würde, die Menschen hätten wegen der Landesregierung das “Gefühl von Staatsversagen”, wie es SPD- Fraktionschef Jochen Ott häufig formuliert. Vonseiten der SPD kommt dann oft zurück, dass man sie in eine schlimme Ecke stellen wolle, um Kritiker mundtot zu machen.

Populisten und Oberlehrer

Als Beispiel dafür nennt man bei der SPD eine Debatte um Flüchtlingsunterkünfte im September. Die Grüne Flüchtlingsministerin Paul reagierte angefressen auf den Vorwurf, sie würde bei Auseinandersetzungen in den Unterkünften wegschauen. Das wiederum brachte die stellvertretende SPD-Fraktions-Vorsitzende Lisa Kapteinat auf den Baum. Besonders fassungslos mache es sie, “wenn diese Kritik von der Kollegin Schäffer kommt, die ganz genau weiß, dass ich sie im April angerufen habe, um sie auf Missstände, auf dramatische Situationen aufmerksam zu machen, nachdem ich monatelang an der Ministerin gescheitert bin, weil sie es nicht hören wollte.” Worte, die im Nachgang zu einigen Misstönen jenseits des Rednerpults führten.

Auch in Interviews schont man sich nicht. In langen Gesprächen im WDR-Podcast “RheinBlick” kam wieder der Vorwurf des SPD-Populismus – angesprochen von der Grünen Co-Fraktionschefin Brems. Zwei Wochen später kontert SPD-Mann Ott das mit einem “Oberlehrerhaft”. Spricht man mit beiden Seiten darüber, dann kommt schnell eine besondere Ebene dazu: die persönliche. Hinter vorgehaltener Hand wird schon bestätigt, dass man sich entfremdet. Aber Schuld? Die trage stets die jeweils andere Seite. Und immer wieder werden Abgeordnete namentlich genannt, die die anderen einfach nur noch unerträglich finden.

Keine Pizzeria in Sicht

Nimmt man zum Vergleich das Verhältnis von CDU und FDP, wundert das Ganze noch mehr. Als beide 2022 nicht im ganz großen Frieden getrennte Wege gingen, war das vor allem für die Freidemokraten schmerzhaft. Noch heute ist man bei der FDP sauer auf die CDU – aber auch auf sich selber. Weil man naiv daran geglaubt hatte, mit der CDU von Hendrik Wüst habe man einen ähnlich verlässlichen Partner wie es die Laschet-CDU war. Und natürlich wird sich gegenseitig in der Rolle von Regierung (CDU) und Opposition (FDP) kritisiert, es wird gerne mal übereinander gelästert. Aber trotz dieser gemeinsamen Geschichte finden persönliche Anwürfe am Landtags-Rednerpult so gut wie nicht statt.

Man will ja vielleicht noch etwas voneinander, auch wenn schwarz-gelbe Mehrheiten so unrealistisch erscheinen wie rot-grüne. Aber wer weiß das schon? Politik ist wandelbar, solange man im inhaltlichen Gespräch bleibt. Ob das jedoch auf das rot-grüne Binnenverhältnis zutrifft, ist in diesen Tagen unsicher. Man entfremdet sich fröhlich weiter – und bisher ist keine Pizzeria in Sicht, in der man sich zur Aussprache treffen könnte.

Über den Autor

Geboren 1980, aufgewachsen am linken Niederrhein. Im WDR seit 2006 als Nachrichtenmann und politischer Berichterstatter unterwegs. Aktuelle Schwerpunkte bei SPD, AfD, Hochschul- und Sportpolitik im Land. Und sogar mit eigenem landepolitischen Podcast.

2 Kommentare

  1. Ex-SPD-Stammwähler am

    Viel, viel zu spät!
    Es wird der SPD viel zu spät klar, dass Grünenwähler vielleicht mit SPD oder auch CDU zufrieden sind bei extrem grüner Politik. Aber deshalb werden Grünenwähler nicht SPD oder CDU wählen. Wer aber soziale oder konservative Politik erwartet, die auch ruhig um einiges grün gefärbt sein kann, der wird irgendwann auch als langjähriger Stammwähler nicht mehr aus Gewohnheit bei SPD oder CDU das Kreuz machen.
    Fangen wir beim Bund an, ein Sozialdemokrat als Klimakanzler ist eine Fehlbesetzung.
    Das Land Bremen widerspricht meiner These, mir ist ein Rätsel wie das Wirken der grünen Verkehrssenatorin spurlos an der SPD vorbeigehen konnte.
    In NRW mag es im Hintergrund ein Knirschen auf persönlicher Ebenen geben. Für wichtiger halte ich aber, dass mit dem extrem grünen Kurs den Etablierten die Wähler weglaufen und enttäusche Wähler laufen kaum zur FDP.
    Wir haben in der Stadt so etwas wie einen Klimabürgermeister, was bei der letzten Wahl so nicht absehbar war. Den Strukturwandel von Kohle und Stahl hatten wir als Handelszentrum eigentlich ganz gut bewältigt. Mit völlig überzogenen Kampf erst gegen Corona und jetzt gegen das Auto sind von der erfolgreichen Einkaufsmeile in der City nur noch ein paar hundert Meter übrig geblieben. Aber da wird die Entfremdung wohl erst nach der nächsten Kommunalwahl kommen und mit „Augen zu und durch“ füttert man die „Populisten“ bis dahin immer weiter an; siehe ARD-DeutschlandTrend extra.

  2. Kürzlich sagte mir ein SPD- und Grünen-naher Mensch, dass es bald eine neue Pizza-Connection bräuchte, wenn es so weitergehe. Was hat er gemeint? In den 90er Jahren gab es regelmäßig Treffen zwischen progressiven CDU-Mitgliedern und grünen Realpolitikern, um bei Pizza ein persönliches Gespräch zu führen. Es waren die ganz frühen Anfänge schwarz-grüner Bündnisse, als die Kluft zwischen Konservativen und Ökopartei noch unüberbrückbar schien.

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