Es war so ein typischer Merkel-Satz, der aus der Runde der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten nach draußen drang: “Ich bin nicht zufrieden: die Ergebnisse sind nicht hart genug, dass wir Unheil abwehren“, sagte die Kanzlerin. Damit war Merkels Rolle in der Corona-Pandemie wieder klar umrissen. Im letzten Herbst und Winter ihrer Amtszeit gibt sie die Mahnerin, die kühle Wissenschaftlerin, die voller Sorgen ist, die Corona-Pandemie könnte außer Kontrolle geraten. Ein Satz, der sich in Merkel-Konstrukte wie “Öffnungsdiskussionsorgien” oder die Mahnung vor 19.200 täglichen Infektionen einreiht.
All diese Beispiele sind aus eigentlich vertraulichen Runden nach draußen gedrungen. Ob sie Merkel schaden oder helfen sollten? Die Intention derer, die es an die Journalistinnen und Journalisten gegeben haben, bleibt im Dunkel. Fest steht nur: Für ihre Rolle alles kein Problem. Sie ist Mahnerin, und egal, wie die Pandemie irgendwann enden wird: Merkel wird man nicht vorwerfen können, die Sache nicht ernst genug genommen zu haben. Außerdem steht sie ja inhaltlich vollends hinter dem, was sie aktuell verkörpert. Da ist die diskursfeindliche Äußerung mit den Orgien schnell vergessen. Im Zweifel bleibt sie beim Publikum positiv behaftet hängen.
Wie eine solche Rolle jedoch an ihre Grenzen stoßen kann, zeigt Markus Söder (CSU). Am Anfang der Pandemie hat ihm der Part des umsichtigen, vorsichtigen Landesvaters mit Blick über die bayerischen Grenzen hinaus sehr viele Sympathien eingebracht. Aber nach zu vielen Scharmützeln samt “kluger” Ratschläge an andere Länder, einer massiven Testpanne und zahlreichen Gerichtsurteilen bröckelt langsam, aber stetig das mediale Zutrauen. Hinzu kommt, dass Söder die Differenzierung bei den Maßnahmen, die man inzwischen rechtlich, medizinisch und auch logisch vornehmen kann, hier und da Probleme bereitet. Das pauschale Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens ist nicht mehr zielführend. Das macht die Sache nicht leichter, Erfolge in einem Satz zu verkaufen.
Trotzdem versucht es Söder und sagt nach dem verworrenen Bund-Länder-Treffen: “Das Team Umsicht und Vorsicht hat sich am Ende durchgesetzt.” Das Problem: Die Aussage als solche bedeutet halt nun auch, dass es unter seinen Kolleginnen und Kollegen “Team Sorglos und Unvorsichtig” gegeben haben muss. Sowas ist jedoch das Gegenteil von Differenzierung und breiter Debatte, dem Ringen um die bestmögliche Lösung. Es klingt so ein wenig nach “Lockdown” gegen “Öffnung”, nach Debatte aus dem Pandemie-Start, die jegliche wissenschaftliche und gesellschaftliche Lehre aus den vergangenen Monaten ignoriert. (Auch wenn Söder es natürlich besser weiß.)
Womit wir bei Armin Laschet (CDU) sind, dem NRW-Ministerpräsidenten. Er steht bildlich für die Lockerung, obwohl er seit Monaten schon langsamer und vorsichtiger agiert, als die sämtliche seiner Unions-Amtskollegen aus dem Osten. Die scharfe Maskenpflicht im Unterricht war zum Beispiel eine Idee aus NRW. Trotzdem bleibt er der Möbelhaus-Öffner, der Lockerer, positiv formuliert: Der Multikausale. Wobei Laschet vorsichtig genug ist, rund um dieses Wort keinen rhetorischen Unfall zu begehen. Von Beginn an hat er mit Recht darauf verwiesen, dass es mehr braucht als den eindimensionalen Kampf gegen die Pandemie. Er hält verfassungsrechtliche Grundsätze hoch, ihn lassen die Folgeschäden am Seitenrand einer einseitigen Ausrichtung auf Corona-Maßnahmen nicht los. Seine Landesregierung gibt Schulzusagen und Kita-Garantien, wo bei Angela Merkel diese beiden Institutionen stets erst nach dem “Aufrechterhalten der Wirtschaft” genannt werden. Laschet ist auch derjenige, der offen über Fehler der Anfangszeit redet.
So gegensätzlich das alles klingt: Alle drei haben bisher eine wichtige Rolle erfüllt. Sie stehen für Debatte, für Positionen, in den sich Menschen wiederfinden können. Bisher hat das gut geklappt. Eine breite Mehrheit der Menschen steht hinter Maske, Abstand und Lüften, die Union hat bisher in den Umfragen profitiert. So gegensätzlich Merkel-Laschet-Söder wahrgenommen wurden, so gut war es dramaturgisch. Doch die Lage zur Mitte des Herbstes lässt diese Erzählung so langsam zu einem Ende kommen.
Die Landeschefs ohne CDU- oder CSU-Parteibuch üben ihre Kritik an der Sache lauter. Das Treffen am Mittwoch begann sogar mit einem Eklat, als rauskam, dass sich am Vorabend die Unionsländer mit der Kanzlerin alleine ausgetauscht haben. Diese Vorbesprechung, so harmlos sie gewesen sein mag, ist ein fatales Signal an ein gemeinsames Arbeiten, föderales Miteinander sieht anders aus. Und das ist gefährlich: Die Genervtheit gegenüber dem Föderalismus steigt – Stichwort “Beherbergungsverbot”. Der Verweis auf Frankreich, wo der Zentralismus nicht gerade das beste Bild abgibt, genügt bald nicht mehr.
Um die Gesellschaft in der Breite wieder stärker mitzunehmen, reichen die bisherigen Rollen nicht mehr aus. Je vielfältiger die Maßnahmen sein können und müssen, je weniger die pauschale Lösung (“Lockdown”) sinnvoll erscheint, umso breiter muss die Debatte sein. Deshalb sollte die Corona-Politik auch wieder eine stärkere Aufgabe der Parlamente werden. Ständig geänderte Coronaschutzverordnungen, Erlasse und Bund-Länder-Papiere samt Polit-Schauspiel um eine formal machtlose Kanzlerin stressen inzwischen zu sehr. (Wieder das Stichwort: “Beherbergungsverbot”.) Warum also nicht ein Corona-Gesetz, das die Maskenpflicht oder andere Maßnahmen regelt? Mit großer parlamentarischer Debatte im Bundestag, Bundesrat und den Landtagen? Führt am Ende vielleicht zu denselben Ergebnissen wie eine Bund-Länder-Runde im Kanzleramt. Aber durch den Wechsel ins Parlament könnten sich neue Hauptrollen herausbilden – sei es von SPD, Grünen, Linken, FDP oder AfD.
Es ist halt wie wie mit einer guten Streaming-Serie: Für erfolgreiche, weitere Staffeln braucht es den ein oder anderen neuen Charakter. Wir sind in Staffel 2 – ein Aufguss von Merkel-Laschet-Söder kostet Quote.
Ein Kommentar
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Frau Merkel macht es sich leicht. Als Mahnerin aufzutreten, kommt nämlich immer gut an, besonders beim deutschen Michel mit seiner German Angst.
Und leider macht Frau Merkel, was sie will. Das zeigt ja auch ihre wiederholte Kaffeekränzchen-Politik mit den Ministerpräsidenten am Bundestag vorbei:
“Deshalb sollte die Corona-Politik auch wieder eine stärkere Aufgabe der Parlamente werden.”
Daß Armin Laschet es sicher gut meint, wird man nicht bestreiten können, aber ihm fehlt es offenbar an Entschlußkraft und Durchhaltevermögen.