Vom “System der Angst” in der NRW-SPD

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Vom “System der Angst” in der NRW-SPD

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Glück auf (oder so ähnlich)! Da hat sich wohl jemand verzockt.
Das Statement der SPD-Landesgruppenchefs im Bundestag, demzufolge man vielleicht besser auf Boris Pistorius statt Olaf Scholz setzen sollte, war deutlich. “Das aktuelle Ansehen von Bundeskanzler Olaf Scholz ist stark mit der Ampel-Koalition verknüpft”, erklärten Wiebke Esdar und Dirk Wiese. Und man höre viel Zuspruch für Boris Pistorius.

Die beiden, die das geschrieben haben, sind nicht irgendwer in der Partei. Esdar und Wiese sind Co-Vorsitzende der NRW-Bundestagsabgeordneten. Und sie stehen für den jeweils linken (Esdar) und konservativen (Wiese ist Chef der einflussreichen Seeheimer) Parteiflügel.

Als ich das Statement am Montagabend zum ersten Mal las, dachte ich unmittelbar: “Das war es für Scholz!” Zumal sich vorher ja noch die komplette sonstige Landesführung in NRW um ein Bekenntnis für den Kanzler gedrückt hatte. Es ist ja nun mal so: Es gibt in der SPD eine mathematische Grundregel – ohne einen motivierten Wahlkampf in NRW hat die Partei im Bund keine Chance. Das Land, in dem die Partei selbst bei schlechtesten Prognosen noch immer so was wie Kulturgut ist, muss halt immer etwas über dem Bundesschnitt performen, will man bundesweiten Erfolg haben.

Da ist der gesenkte Daumen aus NRW für einen Kanzlerkandidaten eigentlich sein Ende. Aber so mit fortlaufender Woche merkte ich: Das Statement von Wiese und Esdar trifft zwar die Grundstimmung der Partei, aber es polarisiert innerhalb der SPD extrem und führt nicht zum gewünschten Ziel. Nach dem Rückzug von Pistorius steht Scholz zwar als vermeintlicher Sieger da. Aber die letzten Tage haben die Partei Ansehen und Prozente gekostet.

Wie kann das sein? Wieso verfing das deutliche Statement nicht und verfehlte seine Wirkung? Dazu sollte man sich vielleicht ein Netzwerk anschauen, das mit dem Statement wieder mehr ins Rampenlicht getreten ist. Die Bielefelderin Wiebke Esdar und ihr Ehemann Veith Lemmen (der ehemalige Juso-Landeschef ist inzwischen Bürgermeister in Werther, Kreis Gütersloh) werden immer wieder als Strippenzieher solcher Kampagnen gesehen. Ohne ihr Netzwerk geht eigentlich seit 15 Jahren nicht mehr wirklich was – intern nennt sie mancher auch die “OWL-Clintons”.

Lemmen spielte als Juso-Chef eine wichtige Rolle beim Sturz des CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. In der Zeit danach waren sie – unter anderem mit dem heutigen Oberbürgermeister Hamms, Marc Herter – tragende Säulen der Partei unter Hannelore Kraft und hatten stets den Schutz des mächtigen Landtags-Fraktionschefs Norbert Römer.

In dieser Zeit wuchs das Netzwerk, das nicht nur in Ostwestfalen über Listenplätze und politische Karrieren entscheiden konnte. Der Aufstieg von Norbert Walter-Borjans zum Parteichef ist eng mit Lemmen und Esdar verbunden. Aber auch beim Sturz von Landeschefs spielte das Lager eine Rolle. Sebastian Hartmann und Thomas Kutschaty haben das schmerzhaft erfahren müssen, nachdem sie die Duldung des Netzwerkes verloren hatten.

Das alles sollte man im Hinterkopf haben, will man die Wirkmacht des Statements verstehen. Bei einem normalen Verlauf hätte Olaf Scholz schon beim G20-Gipfel in Rio seine Abschiedsrede vorbereiten können. Hat er aber nicht – weil sich der Wind drehte. Selbst bei Scholz-Kritikern kam es nicht gut an, dass das Statement in dem Moment kam, als Scholz wehrlos außer Landes weilte. Im Bundespräsidium soll es genau deshalb auch eher kritisch aufgefasst worden sein. Vielleicht war es das eine Mal zu viel, dass ein bisher erfolgreiches Netzwerk versucht hatte, in die Parteigeschicke einzugreifen.

Aus meiner Sicht hat hier noch eine weitere politische Grundregel gegriffen: “Die Partei liebt den Verrat, aber nicht den Verräter”, heißt es seit Urzeiten. Wiebke Esdar kriegt das gerade zu spüren. Es melden sich inzwischen immer mehr Sozialdemokraten, die zwar nicht zitiert werden wollen, aber deutlich sagen: “Es reicht!” In dem OWL-Dunstkreis habe sich ein “System der Angst” etabliert, in dem über Posten und Ämter entlang von Loyalität und nicht von inhaltlichen Positionen entschieden werde, erzählte mir ein Sozialdemokrat im Landtag. Jemand anderes sagte mir, es gehe nur darum, unter Pistorius bessere Chancen für eigene Ämter zu haben.

Die Kritik ist teilweise heftig. So heftig, wie ich es selbst in einer – diplomatisch formuliert – streitlustigen Partei noch nicht erlebt habe.

Esdar selber und alle drumherum üben sich übrigens inzwischen in vornehmer Zurückhaltung. “Die haben kalte Füße bekommen”, sagt einer. Ein anderer aus der SPD wiederum kommentiert lakonisch: “Die Fähnchen im Wind bekommen die Flatter”. Nicht nur Olaf Scholz hat also in diesen Tagen so was wie eine Abrechnung bekommen. Auch ein Netzwerk innerhalb der NRW-SPD, das bis in weite Teile des amtierenden Landesvorstands reicht. Zur Wahrheit aber gehört auch: Die Landespartei hat gerne mit dem Netzwerk paktiert, solange es opportun erschien und Mehrheiten organisiert werden mussten.

Somit gilt am Ende für mich der Satz eines alten Freundes. Der sagt mir in solchen Fällen stets, wenn eine Institution im Chaos versinkt: “Am Ende ist einfach keiner unschuldig!”

Dieser Text erscheint auch als Editorial in “18 Millionen – Der Newsletter für Politik in NRW”. Jeden Freitag verschicken wir die Themen, die NRW bewegen – an politisch Interessierte, Aktive, Gewählte, und Politik-Nerds. Hier können Sie den Newsletter kostenlos abonnieren.

Über den Autor

Geboren 1980, aufgewachsen am linken Niederrhein. Im WDR seit 2006 als Nachrichtenmann und politischer Berichterstatter unterwegs. Aktuelle Schwerpunkte bei SPD, AfD, Hochschul- und Sportpolitik im Land. Und sogar mit eigenem landepolitischen Podcast.

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