Tag acht: „Ich hatte den Eindruck, dass diese Frau gerade neben mir stirbt.“

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Tag acht: „Ich hatte den Eindruck, dass diese Frau gerade neben mir stirbt.“

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Mit einer halben Stunde Verspätung eröffnet der vorsitzende Richter den achten Verhandlungstag. Einer der Angeklagten war auf dem Weg nach Düsseldorf im Stau stecken geblieben.
Nachdem der Richter eine Viertelstunde lang begründet, warum er für die Beweisaufnahme keine Tonaufzeichnung zulassen will, kommt ein Nebenkläger und Zeuge aus Braunschweig zu Wort.

„Ich habe versucht, Ruhe zu bewahren“

Der Softwareentwickler schildert seine Erinnerungen erstaunlich sachlich, fast distanziert. Er habe sich mit Freunden in Duisburg getroffen, um nach Berlin, Dortmund und Essen an seiner vierten Loveparade teilzunehmen. Zunächst hätten sie die Techno-Parade regelrecht suchen müssen. Sie seien davon ausgegangen, der Zug gehe durch die Stadt und nicht über ein abgeschlossenes Gelände. Schließlich sei die Gruppe durch den Tunnel auf die Rampe gelangt, mitten hinein ins tödliche Gedränge. Es habe einen Schub von oberhalb gegeben, so dass die gesamte Menschenmenge in Schräglage geraten sei und er den Boden unter den Füßen verloren habe.

Menschen werden über die Menge zur Treppe gereicht

Eine ohnmächtige Frau habe man noch über die Menge in die Sicherheit der Treppe gereicht, seiner Nachbarin habe weder er noch deren Freund helfen können – sie habe zunächst hyperventiliert, dann habe sie die Augen verdreht und sei in der Menge versunken. „Ich hatte den Eindruck, dass diese Frau gerade neben mir stirbt“, sagt der Zeuge. Und gefragt, was das bei ihm ausgelöst habe: „Ab dem Zeitpunkt war mir bewusst, dass die Situation tödlich ist und dass mir das auch passieren kann.“

Das vergessene Trauma

Physischen oder psychischen Schaden habe er nicht davongetragen, glaubt der heute 34-Jährige. Allerdings kann er sich nicht mehr daran erinnern, dass er zwei Tage später bei einem Arzt war, der ihm attestierte, er sei psychisch traumatisiert. „Ich bin der Meinung, ich habe es relativ gut verkraftet. Als traumatisiert würde ich mich nicht bezeichnen. Im Nachhinein ist mir nicht mehr bewusst, dass es diesen Befund gab.“

Psychische und körperliche Folgeschäden beim zweiten Zeugen

Anders der zweite Zeuge, der an diesem Dienstag vernommen wird. Er sagt aus, er sei bei dem Versuch, sich aus dem Gedränge an der Treppe hochziehen zu lassen, rückwärts gestürzt und habe sich an der Wirbelsäule verletzt. Zudem habe ihm eine Psychotherapie kaum weitergeholfen –  noch immer leide er unter den Folgen des Erlebten: „Irgendwie ist mir etwas verloren gegangen dabei – Lebenslust.“ Er habe damals Todesangst gehabt, sagt der 42-Jährige. Deshalb habe er versucht, über die Treppe aus der Menge heraus zu kommen.

Über den Autor

Geboren 1969 in Bremen, Mensch- und Journalistenwerdung in Rheinland und Ruhrgebiet und seit 2008 für den WDR als Reporterin in Düsseldorf, Duisburg und Umgebung unterwegs. Das Unglück bei der Loveparade habe ich von Anfang an immer wieder journalistisch begleitet, vom Folgetag an viel Zeit im Tunnel verbracht, Eindrücke gesammelt, Menschen befragt, berichtet. Auch über die politischen Folgen, wie die Abwahl des Oberbürgermeisters Sauerland und das juristische Hickhack im Vorfeld dieses Prozesses.

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