Am 13. Prozesstag wird ein weiterer Nebenkläger vernommen. Der Mann aus Baden-Württemberg hat dem Gericht jede Menge Videomaterial und Fotos überlassen – heute sehen wir uns alles, Video für Video, Foto für Foto, gemeinsam an.
Schon Anfang Januar hatte der 34-Jährige Teile seiner Aufnahmen erläutert, heute geht es unter anderem um den genauen Ablauf: Wie lässt sich anhand des Materials und der archivierten Timecodes rekonstruieren, was wann genau geschah?
Beklemmende Bilder
Auf den ersten Blick tragen die Bilder wenig dazu bei. Ob sie später ihren Platz im großen Puzzle einnehmen werden und zur Aufklärung beitragen können, diese Frage wird heute nicht mehr geklärt. Aber sie belegen mit irritierend wenigen Lücken die Lage des Zeugen vor siebeneinhalb Jahren, zeigen schon erstes Geschubse und Unwohlsein an der Einlasskontrolle.
Die Handy-Kamera begleitet junge Leute durch den Tunnel, wie sie „Seven Nation Army“ von den White Stripes skandieren, zeigt wie es am Fuß der Rampe immer enger wird. Es sind extrem wackelige Bilder, immer wieder Rücken, Hinterköpfe und Arme in Großaufnahme. Dann zunächst die gequälten Gesichter junger Frauen, Schreie um Hilfe. Bis es vor der Kamera nur noch dunkel ist. Sie ist verdeckt, der Ton wird gedämpft, weil das Handy offensichtlich – genau wie sein Besitzer – zwischen den Körpern eingekeilt ist.
Ganz nah dran – merkwürdig distanziert
Diese detaillierte Kameradokumentation nimmt mich als Beobachterin merkwürdigerweise weniger mit als die Zeugenaussagen, die ich bislang gehört habe. In ihnen hatten Zeugen, sichtlich um Fassung ringend, ihre Erlebnisse geschildert.
Geradezu absurd erscheinen schließlich Videos, die laut Timecode drei Stunden nach dem tödlichen Gedränge entstanden sind: Aufnahmen von Floats, von denen brüllend laute Techno-Musik schallt und um die herum Leute tanzen, als wäre nichts geschehen.
Ein Mensch unter Schock?
Ich versuche zu verstehen, wieso der Zeuge diese Aufnahmen überhaupt gemacht hat. Eine Übersprunghandlung nach dem Schock? Distanzieren vom Geschehen? Die Frage der Motivation ist von außen nicht zu beantworten und für den Prozess auch nicht wichtig – trotzdem bin ich zunächst irritiert. Ein Schock klingt dann bei noch später aufgenommenen Videos durch, als der 34-Jährige in viel zu dunkler Großaufnahme versucht, das Geschehene zu sortieren. Er redet ohne Punkt und Komma, die Stimme überschlägt sich immer wieder. Danach gefragt, wieso er auch im Gedränge ständig gefilmt habe, sagt er: “Ich wollte das dokumentieren.”
Am Tag danach
Einen Tag nach dem Unglück hat der Zeuge – augenscheinlich wieder zu Hause – noch mal in einem Video versucht, das Geschehen zu analysieren. Seine Bilanz: „Klar hat es da an dem Tunnel Tote gegeben, aber die Probleme haben ja schon weit vorher angefangen.“