Dieser 24. Prozesstag ist nur ein halber. Statt wie üblich um 9 Uhr 30 geht es erst um 14 Uhr los. Von der Presse bin ich heute die einzige Vertreterin. Trotzdem bekomme ich vom sogfältigen Sicherheitspersonal keine Pressesitzplatzkarte mehr – ich bin drei Minuten zu spät dran dafür. Da auch die Zuschauerplätze, wie meist, nur sehr spärlich besetzt sind, habe ich aber keine Probleme einen Platz zu finden.
Schnell durchkommen
Nach den üblichen Formalien wird eine Zeugin vernommen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Nebenklägern sitzt die Mutter einer damals fünfjährigen Tochter ohne Rechtsbeistand auf der Zeugenbank. Sie habe ihre Tochter damals, am 24. Juli 2010, bei der Mutter ihres Freundes in Duisburg gelassen und sei mit ihm und einer kleineren Gruppe spontan erst in die Innenstadt und später zur Loveparade losgezogen, erklärt sie. Die Vierzigjährige spricht schnell, fasst das Wesentliche kurz zusammen. Ihrer Gestik und Mimik nach zu urteilen möchte sie rasch mit ihrer Aussage durch sein, will es hinter sich bringen. Das bestätigt sie auf Nachfrage durch einen der Verteidiger: „Vor dem Tag heute hatte ich Angst“, sagt sie.
“Meine größte Angst war: Ich sehe mein Kind nicht mehr wieder“
Aber sie hat sich gut im Griff. Trotzdem sie in der Menge so stark eingequetscht wurde, dass sie das Bewusstsein verlor und einen Riss in der Niere erlitt, bleibt sie in ihrer Schilderung sachlich. Und selbst als sie ihre größte Angst im Moment des Gedränges beschreibt ist ihre Stimme ruhig: „Meine größte Angst war: ich sehe mein Kind nicht mehr wieder.“
Bei Detailfragen muss sie immer wieder passen. „Kann ich mich nicht dran erinnern“, sagt sie häufig. Sie habe sich mit dem Geschehen nach Möglichkeit auch gar nicht mehr befassen wollen, „außer, dass ich versucht habe, es so zu drehen, dass ich damit leben kann“.
Eingeschränkt aber nicht lebensunfähig
Ganz offensichtlich hat die Zeugin – ebenfalls im Gegensatz zu vielen anderen Nebenklägern – sich nicht im Nachhinein die vielen YouTube-Videos von der Loveparade 2010 und Rekonstruktionen des Unglücks angesehen. Als sie auf einer Skizze einzeichnen soll, wo sie sich wann auf dem Gelände befunden hat, muss sie mehrfach nachfragen, um sich überhaupt orientieren zu können. Ob sie sagen würde, dass sie unter den Folgen des tödlichen Gedränges noch heute zu leiden habe, will Richter Plein wissen. „Es gibt viele Bereiche, wo ich eingeschränkt bin, aber ich bin nicht lebensunfähig“.