Der Tag beginnt mit der Verteidigerin desjenigen Angeklagten, der laut dem Zeugen Schaller als sogenannter Head of Organization bei Lopavent die Gesamtverantwortung für die Loveparade gehabt haben soll. Logisch, dass Kerstin Stirner nachzuweisen versucht, dass dieser Mitarbeiter eben nicht alleinverantwortlich entscheiden konnte, sondern – im Gegenteil – die wichtigen Entscheidungen seinem Chef und Geschäftsführer Rainer Schaller vorlegte.
Hinter der Verteidigerseite sitzend, hört man in den Sprechpausen das emsige Geklicke der Laptop-Tastaturen der Anwälte, die eifrig mitschreiben, was Schaller antwortet.
„Sie haben schon wieder nicht auf meine Frage geantwortet“
Das ist nach meinem Dafürhalten nicht besonders gehaltvoll. Wie schon gestern und vorgestern zeichnet sich der Zeuge dadurch aus, dass er Fragen hauptsächlich nicht beantwortet. Entsprechend wird der Ton der Anwältin schärfer: „Sie haben meine Frage nicht beantwortet“, sagt sie – zunehmend sarkastisch – immer wieder. Ich verstehe sie, denn Rainer Schaller weicht mit unbewegter Miene immer wieder aus, wiederholt stetig, er habe sich Verträge nicht durchgelesen, er sei in Mailverteilern nicht gewesen oder habe die Nachrichten allenfalls überflogen und er könne sich an Abläufe schlicht nicht erinnern. Aus seiner juristischen Sicht – sich selbst nicht zu belasten – sicher richtig. Was er sagt stellt aber hohe Anforderungen an meine Glaubensbereitschaft.
Probleme mit dem Gedächtnis?
Überhaupt nehme ich ihm Vieles nicht ab. Unter anderem hat er in diesen Verhandlungstagen kaum eine Gelegenheit ausgelassen, auf seine Belastung nach dem Unglück hinzuweisen. Er habe ständig im Fadenkreuz der Medien gestanden, die ihm medial den Prozess gemacht hätten. Dauernd habe er auf falsche Behauptungen reagieren, Interviews geben müssen. Habe emotional komplett neben sich gestanden, insofern könne er sich an Vieles aus dieser Zeit nicht erinnern. Glaubt man wiederum seinen anderen Schilderungen scheint er generell ein massives Problem mit dem Gedächtnis zu haben – denn auch in emotional stabilen Zeiten, also vor dem Unglück, scheint ja Vieles an seinem Bewusstsein vorbei gerauscht zu sein.
Kein sichtbarer Nutzen für Angehörige und Geschädigte
Zur Aufklärung des Unglücks hat seine Aussage nach meinem Eindruck in keiner Weise beigetragen. Aber das kann man ihm kaum vorwerfen – er ist ja nur den Fragen des Gerichts gefolgt. Und da ging es im Wesentlichen um Verantwortung bei Lopavent – nicht um konkrete Planungsfehler oder Abläufe am Unglückstag. Außer von Rechtsanwältin Stirner gab es aus den Reihen der Verteidigung kaum Fragen an den Zeugen Schaller. Auch nicht von den Anwälten der anderen drei Lopavent-Mitarbeiter. Deren Honorare werden übrigens, wie der Zeuge auf Nachfrage eingeräumt hat, zumindest teilweise von seinem Konzern bezahlt. Um 10:45 darf jedenfalls Rainer Schaller vorläufig gehen, seine Vernehmung wird unter dem Vorbehalt der Wiedervorladung unterbrochen.
Routine
Der Rest des Prozesstages ist noch weniger Vergnügungssteuerpflichtig als der Beginn: das Gericht verliest die Entfluchtungsanalyse, die Lopavent vor der Loveparade in Auftrag gegeben hatte. Sie sollte belegen, dass man eine Loveparade auf dem Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs durchführen konnte. Die Analyse an sich: durchaus interessant – die Verlesung: eine juristische Formalie.