Ich bin als Kind mal mit einem Kaugummi im Mund eingeschlafen. Als ich wach wurde, klebte mir dieses rosafarbene Ding dann in den Haaren. Eine Ewigkeit lang habe ich versucht, die verklebten Haarsträhnen zu retten. Manche Haare habe ich mir bei dem Versuch ausgerissen, andere klebten und klebten und klebten. Egal, wie viel Mühe ich mir gab.
Dem Zeugen Zuzuhören, in der Erwartung, Einsichten für den Prozess zu gewinnen, fühlt sich an wie der aussichtslose Kampf mit der klebrigen Masse von damals.
Die vergebliche Hoffnung auf Erkenntnis
Der Zeuge ist ein 55 Jahre alter Mann, der auf Großveranstaltungen mit Aufgaben für Sicherheit und Ordnung betraut ist. Er ist Diplomingenieur für Veranstaltungstechnik, zum Zeitpunkt der Loveparade 2010 noch Meister für Veranstaltungstechnik. Es ist der zweite Prozesstag vor Gericht für ihn. Heute wird er von der Staatsanwaltschaft, der Nebenklage und den Verteidigern befragt.
Wenn man liest, welche Position er bei der Loveparade 2010 bekleidete, steigt Hoffnung auf, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was sich am Unglückstag in der Sicherheitszentrale abgespielt hat. Doch der “technische Leiter für Sicherheit bei der Loveparade“ (so bezeichnet er sich in der Rechnung, die er einen Tag nach dem Unglück an die Firma Lopavent gestellt hat, selbst) hat für mich nichts Erhellendes zu berichten.
Die Haltung des Zeugen
Die Antworten des Zeugen sind irgendwann für mich vorhersehbar. Ich kann sie fast schon mitsprechen. “Kann ich mich nicht dran erinnern.“ … “Dann muss das so gewesen sein.“… “Ich vermute, dass das so gewesen ist.“ … “Das weiß ich nicht mehr.“ …
Ein Nebenklageanwalt will wissen, was nach dem Unglück geschah, ob es Unterhaltungen unter den Mitarbeitern gab, wann der Zeuge aus Duisburg abgereist sei, wie lange am Stück er wach gewesen sei, ob er nach der Katastrophe überhaupt geschlafen habe. Viele Zeugen von Lopavent haben ausgesagt, dass sie sich noch wochenlang mit dem Unglück beschäftigt und darüber ausgetauscht haben. Der Zeuge gibt auf die Frage zurück, dass er das nicht mehr wisse. Das sei jetzt achteinhalb Jahre her. Er könne ja nicht einmal mehr sagen, wie er letzte Woche geschlafen habe.
Nicht irgendein Tag – Nicht irgendeine Nacht – Nicht irgendeine Veranstaltung
In meinen Ohren klingt das nach Hohn und Spott und ich bin froh, dass bei der Aussage dieses “Veranstaltungs- und Sicherheitsexperten” keine Angehörigen anwesend sind. Denn hier geht es nicht um irgendeine Veranstaltung vor achteinhalb Jahren. Es geht um den Tag, an dem 21 Menschen ihr Leben verloren.
Besonders unangenehm klingt es für mich, wenn der Zeuge beim Antworten ins Mikrofon schnauft. Dieses “Pffft“ soll wohl demonstrieren, dass er nicht viel von den Fragen hält, die ihm gestellt werden.
Interessante Aussichten
Für mich bleibt von dieser Zeugenaussage keine Aufklärung zurück. Jedoch ein Eindruck. Und dieses klebrige Gefühl von einer Masse, die sich nicht mehr entwirren lassen will. Am kommenden Prozesstag in einer Woche ist der Polizist geladen, von dem der Zeuge behauptet hat, dass er als Verbindungsbeamter weder ein Funkgerät noch ein funktionierendes Handy dabei gehabt haben soll. Es wird also interessant diese zwei Aussagen gegenüberzustellen.