Tag 157: Kredit

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Tag 157: Kredit

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Zweiter Tag der Befragung des Ex-Angeklagten, der 2010 im Duisburger Bauamt für das Genehmigungsverfahren zur Loveparade mitverantwortlich war. Der Zeuge hat zu Beginn Erinnerungslücken. Der Vorsitzende Richter Mario Plein erinnert den 57-Jährigen: Keine Spekulationen bitte, nur “harte Fakten”.

Zahlreiche Mails und Protokolle aus den Wochen vor und nach der Katastrophe am 24. Juli 2010 werden im Gerichtssaal verlesen.

Genervte Mail

Zäune, Notausgänge, Dixieklos – wieder geht es um die Vorgaben der Stadt zu den Aufbauten des Veranstalters auf dem Techno-Festivalgelände. Eine interne Mail des Zeugen an eine Kollegin wird vorgelesen. Aus der Nachricht spricht eine gewisse Genervtheit über den Veranstalter Lopavent, der Fristen versäumt habe: “Wie viel Überziehungskredit geben wir noch?”

Der Richter hat viele Fragen zu den städtischen Vorschriften zur Entfluchtung des Geländes. Darin war eine maximale Besuchermenge von 250.000 Menschen vorgegeben. Plein will wissen, ob für den Ernstfall – etwa eine Bombendrohung – eine schnelle Entfluchtung aller Besucher bedacht worden sei – da sei doch nicht schwer drauf zu kommen? “Nein, haben wir nicht”, sagt der Zeuge. Das sehe die Bauordnung nicht vor. Vielmehr sei eine Entfluchtung von Teilbereichen geplant gewesen.

Eine Überwachung der erteilten Bau-Genehmigung am Tag der Veranstaltung sei niemals erwogen worden. Es sei nicht üblich, dass eine Bauaufsicht einmal genehmigte Projekte überwacht, sagt der Zeuge. Man habe am 24. Juli 2010 “keine Aufgaben” gehabt, heißt in seinem Gedächtnisprotokoll aus den Tagen nach der Katastrophe.

Kein Interesse an Rampe

Der ehemalige Angeklagte räumt auch ein, dass sich die Bauaufsicht nie mit der Rampe beschäftigte (jenem Aufgang vom Tunnel, wo die Katastrophe schließlich ihren Lauf nahm). Die Rampe sei ja kein Bau, so der Zeuge. “Die Rampe stand so wie sie stand.” Die Staatsanwaltschaft hakt nach: Genauso wie auf dem Veranstaltungsgelände seien auch am Rand der Rampe Zäune gewesen. Der Zeuge kann den Widerspruch nicht so richtig verständlich erklären.

Die Zeugenaussage passt ins Bild der Duisburger Stadtverwaltung im Loveparade-Komplex. Jede Fachbehörde hat ihre routinemäßigen Vorschriften abgearbeitet. Eine Gesamtschau auf eine für Duisburger Verhältnisse außergewöhnliche Großveranstaltung ist im Rathaus offenbar nicht erfolgt – und wenn doch, dann wurde an kritischen Stellen ein Auge zugedrückt. Man wollte ja das große Event unbedingt haben. Der Oberbürgermeister kümmerte sich nicht um Details.

Wie sagte doch ein vorangegangener Zeuge, ein Freiberufler aus den Reihen des Veranstalters: Anders als bei den Loveparades der Vorjahre in Berlin, Dortmund und Essen habe es in Duisburg an “staatlicher Obrigkeit” gefehlt.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

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