Eine Überraschung gibt es am heutigen Prozesstag: Der Vorsitzende Richter Mario Plein teilt in der Sitzung mit, das Gericht habe sich “Gedanken zum Thema Verjährung” gemacht. Schnell wird klar: Diese Gedanken könnten weitreichende Folgen für das Verfahren haben.
Fast nebenbei, im Plauderton, referiert der Richter die Überlegungen. Es sei “denkbar”, so Plein, dass der Beginn der Verjährungsfrist bei Körperverletzungsdelikten mit psychischen Folge-Verletzungen durch die Katastrophe erst spät eingesetzt habe.
Zur Erinnerung: Nur noch gegen drei Angeklagte wird vor dem Landgericht Duisburg verhandelt. Die drei Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent sollen ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem geplant haben. Es gibt zwei Anklagevorwürfe gegen die drei Männer: fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung.
Am 28. Juli 2020 tritt die Verjährung für den Vorwurf der fahrlässigen Tötung ein – auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Tod des letzten Loveparade-Opfers im Krankenhaus. Wenn bis dahin kein Urteil ergangen ist, gehen die verbliebenen Angeklagten straffrei aus. Richter Plein bestätigt zunächst dieses Datum Ende Juli kommenden Jahres.
Zeitpunkt soll geklärt werden
Für den Tatvorwurf der fahrlässigen Körperverletzung, der auch später einsetzende “Gesundheitsbeschädigungen” (Plein) wie eine Posttraumatische Belastungsstörung umfasse, gehe das Gericht nach vorläufigem Stand jedoch nicht davon aus, dass die Verjährung schon Ende Juli 2020 eintritt. Im Klartext: Nicht der Unglückstag 24. Juli 2010 ist für den Beginn von Verjährungsfristen entscheidend, sondern der Zeitpunkt des Ausbruchs einer psychischen Folge-Erkrankung. Traumata können auch Jahre nach einer Katastrophe spürbar werden. Ergo: Die Verjährung läuft später an.
Richter Plein sagt, zur genauen Klärung des Zeitpunktes wäre eine psychiatrische Untersuchung von jenen neun bis zehn verletzten Nebenklägern nötig, die psychische Verletzungen erlitten hatten. Das Gericht sei sich bewusst, dass eine solche Untersuchung eine “große Belastung” für die Betroffenen mit sich bringe.
Durch die Ausführungen Pleins stellt sich nun die Frage, ob der Prozess möglicherweise doch länger dauert als maximal bis Sommer 2020. Auf Nachfrage einer Verteidigerin, die die “Gedanken” des Gerichts nachvollziehbarer Weise eher kritisch sieht, erwidert Plein recht kühl, die bisherige Rechtsprechung zu dem Thema sei “relativ klar”. Und das Gericht habe sich mit dem Thema intensiv beschäftigt.
Auch zum weiteren Prozessverlauf macht Richter Plein ein paar Ansagen: So soll der Gutachter Jürgen Gerlach vom 19. März bis 8. April 2020 befragt werden. Die Frage, welchen weiteren Zeugen noch vernommen werden sollen, wird in den nächsten Wochen auch diskutiert werden – und die Sache mit der Verjährungsfrist dürfte in den kommenden Sitzungen ebenfalls noch für Diskussionen sorgen.