Seltsam, wie schnell mein Reporter-Fell dicker wird. Als Rechtsmediziner Prof. Dr. Wolfgang Huckenbeck am Morgen die Obduktionsergebnisse von vier weiteren Verstorbenen vorträgt, nehme ich das deutlich gelassener zu Kenntnis als an den Tagen zuvor. Und das, obwohl auch Huckenbeck die äußeren und inneren Verletzungen in allen Details schildert.
Wie seine Kollegen kommt auch Huckenberg zu dem Schluss, dass die Menschen im Druck der Menschenmasse erstickt sind. Alkohol und Drogen hätten „keinen zwingenden Einfluss auf den Tod“ gehabt. Nach knapp einer Stunde darf er gehen.
Viel Vorarbeit auf dem Gelände
Der Vorsitzende Richter Mario Plein beginnt anschließend, eine Vereinbarung von Geländeeigentümer Aurelis und Veranstalter Lopavent zu verlesen. Es geht um den Abriss von Gebäuden und die Herrichtung von Wegen für Floats und Besucher.
Zwischendurch lässt Plein Fotos zeigen: Schotterwege, Schuttberge, heruntergekommene Hallen. Die Bilder zeigen das Gelände bei einem Begehungstermin Monate vor der Loveparade. Sie lassen erahnen, wie viel Vorarbeit bis zur Veranstaltung zu leisten war.
Beteiligte haben Unglücksszenarien durchgespielt
Wer muss was tun, wenn ein Unwetter droht? Oder ein Anschlag? Das haben Veranstalter, Stadt, Feuerwehr, Bundespolizei und Polizei Duisburg vor der Veranstaltung bei einem Szenarienworkshop durchgesprochen. Plein liest aus dem Protokoll.
Das Szenario „Besucherzulauf Gelände“ klingt fast wie eine Prophezeiung: „Um 18 Uhr scheint das Fassungsvermögen erschöpft“ und „es gibt bereits ein starkes Gedränge unter den Besuchern.“ Bei 80 Prozent Auslastung des Geländes sei eine Telefonkonferenz der beteiligten Stellen vorgesehen. Bei weiterem Zulauf stehe die Entscheidung über Stoppen des Bahnverkehrs an.
Handschriftliche Veränderungen im Dokument
Ein Verteidiger merkt an, dass von diesem Dokument zwei verschiedene Versionen vorliegen. Und in der Tat: Neben dem Original existiert ein handschriftlich verändertes Dokument. Blatt 4295 in der Hauptakte. Ein Verteidiger will wissen: Wann wurden die Veränderungen vorgenommen? Wussten alle Beteiligten davon? Welche Version ist die richtige?
Manchmal fühlt es sich im Prozess irgendwie an, als sei man schon ganz nah dran, an Antworten auf die Frage: Wer ist verantwortlich, wer hat Fehler gemacht? Und dann stellt man ernüchtert fest, dass dieser Fall für schnelle Erkenntnisse viel zu komplex ist.