Tag 73: Ahnungslos in Sankt Augustin

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Tag 73: Ahnungslos in Sankt Augustin

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Am Tag der Loveparade 2010 war die Bundespolizei zuständig für die Sicherheit am Duisburger Hauptbahnhof. Eine “Mammutaufgabe” – wegen der schwer zu prognostizierenden Besucherzahlen, berichtet der 50-jährige Bundespolizist. Seine Zeugenaussage war am Vortag wegen eines Krankheitsfalls abgebrochen worden. Heute kann der Zeuge ausführlich schildern, wie er den 24. Juli 2010 erlebt hat.

“Erschrocken”

Der Beamte leitete damals den Führungsstab der Bundespolizei – per Telefon von seiner Zentrale in Sankt Augustin aus. Der Richter fragt ihn, ob er am Unglückstag “das Unheil kommen” sah. Der Zeuge verneint. “Erschrocken” habe er reagiert, als am späten Nachmittag erste Meldungen über zwei Tote in Duisburg im Führungsstab eintrafen. Von “Stockungen” der Menschenströme habe er zuvor gewusst.

Seine Aussage deckt sich mit Berichten vorangegangener Zeugen aus den Reihen der NRW-Landespolizei, die den Einsatz auf dem Techno-Gelände verantwortete: Die Katastrophe hatten die oft schlecht informierten Beamten nach eigenen Angaben völlig überrascht aufgenommen. Wenn all diese Zeugenaussagen korrekt sind, waren die Polizeioberen also weitgehend ahnungslos.

Auch an anderen Punkten gleicht sich die heutige Zeugenaussage mit vorherigen Polizeiangaben: Zum Beispiel wie Bundes- und Landespolizei im Vorfeld des Events die Stadt Duisburg und den Veranstalter mit ihren Planungen gewähren ließen. Bei Abschlussbesprechungen seien keine Bedenken vorgetragen worden, so der Zeuge. Und von Polizeiketten im Bereich Zugangsrampe und Tunnel, die die Massenpanik möglicherweise noch verschärften, will der Zeuge auch nichts gewusst haben.

Berlin schaltet sich ein

Der Zeuge berichtet weiter von reger Betriebsamkeit in den Stunden nach der Katastrophe. Das für die Bundespolizei zuständige Bundesinnenministerium mit seiner Abteilung Krisenmanagement habe noch in der Nacht einen Bericht verlangt. Offenbar war Berlin besorgt über Medienberichte, wonach die Bundespolizei möglicherweise nicht nur zuständig gewesen sei für den Duisburger Hauptbahnhof, sondern auch für das direkt angrenzende Techno-Gelände auf dem ehemaligen Güterbahnhof.

Interne Berichte der Bundespolizei werden im Gerichtssaal verlesen. Fast verharmlosend banal klingt der Polizeireport. Von “sehr guter Zusammenarbeit” mit der Landespolizei ist die Rede. Ein einziger Verletzungsfall am Hauptbahnhof wird erwähnt: eine “Verstauchung an der Hand”. Zur Erinnerung: Bei der Loveparade wenige hundert Meter entfernt starben 21 Menschen. Über 650 Menschen wurden verletzt.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

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